Donnerstag, 17. Dezember 2009

Play it again, please



Als die Orgel ausgeklungen ist schauen wir uns an. Aarons Blick verrät mir zum siebten oder achten Mal während dieser Fahrt dasselbe: „Ich will es nochmal hören.“ Ich kann und will ihm seine Bitte nicht abschlagen und drücke erneut die Taste auf dem CD-Player, die dafür sorgt, dass es wieder von vorne los geht. Eine halbe Sekunde vergeht und das Schlagzeug setzt ein, bis Ben Gibbard beginnt uns davon zu erzählen wie schön es ist, wenn alles verbrennt.

Es muss um die 2 Uhr Nachts sein, denn die Autobahn ist vollkommen leer. Artur sitzt hinten und schläft. Wir sitzen vorne und reden nicht. Ich frage mich, ob man als Außenstehender jetzt sehen könnte, wie glücklich wir sind. Dreckig, müde und zerzaust in einem mit Gitarren, Amps und Schlagzeugteilen völlig überfüllten Polo, der zum Entsetzen von Aarons Mutter nur einen einzigen Airbag hat.

Der Gig war in einem großen Zelt beim Rover Camp. Es ist Spätsommer 2008. Weil es den ganzen Tag über geregnet hat ist alles voller Dreck und Matsch. Auf der Bühne ist die Ausrutschgefahr genauso hoch wie davor. Der ganze Auftritt läuft super, bis mir beim letzten Song – Hangover Boy – die tiefe E-Saite reisst. Ich nehme Andis Ersatzgitarre und gleich beim ersten Anschlag reisst mir auch hier die selbe Saite. Weil mir die Ersatzgitarren damit auch schon ausgegangen sind, leg ich sie wieder auf Seite und lasse die andern drei wissen, dass wir den Song heute mal nur mit einer Gitarre spielen müssen. Ich versuche meine Gitarrenspur zu singen und bin nachher ziemlich überzeugt davon, dass sich das auch ziemlich gut angehört hat, bis mich Aaron fragt, was mich denn da geritten hätte…

Wir machen die Bühne frei für die letzte Band des Abends, irgendeine Party-Cover-Band. Als wir uns nach dem Umbau im Publikum tummeln, finden wir schnell heraus, dass die Pfadfinder hier grade ziemlich betrunken und große Fans der Seven Nation Army Bassline sind. Also stimmen wir sie nach jedem Song an und sehen dabei zu, wie sich die Coverband jedes Mal irgendwie genötigt sieht, den Song zu spielen. Sie haben ihn aber nicht im Repertoire und ihr Basser kennt den Song anscheinend nicht, was uns natürlich noch größere Freude bereitet.

Als sie fertig sind bauen wir ab und bleiben noch eine Weile, bis wir schließlich die Sachen ins Auto laden und – bis auf Andi, der noch über Nacht im Camp bleibt – uns auf den Heimweg begeben. „Grapevine Fires“ ist der erste Song der läuft und weil es uns so gut geht und wir nicht wollen, dass das alles vorbei geht, ist er auch der einzige Song der läuft. Immer und immer wieder hören wir, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir alle verbrennen. Und zum Schluss dann doch die Hoffnung, die uns sagt:

“And the firemen worked in double shifts
With prayers for rain on their lips
And they knew it was only a matter of time”

Death Cab for Cutie – Grapevine Fires

Samstag, 5. Dezember 2009

I Had a Dream of My Band



Wir sitzen bei meinen Eltern. Liesa und ich. Und füllen irgendwelche Fragebögen aus. Wie damals in der Fahrschule. Eigentlich nichts, was Spaß macht, aber irgendwie doch. Man ist froh, wenn man alles richtig hat. Ob ich alles richtig hab, weiß ich nicht mehr.

Meine Eltern wohnen anscheinend in Köln. Denn wir fahren mit der Straßenbahn nach Hause. Linie 12 oder 13. Es ist schon dunkel. Wir kommen an irgendeinem Café an, wo sie mir Freunde vorstellen will. Als ich die sehe, wundert es mich, dass ich noch nie von ihnen gehört habe. Sie tragen dicke Baggy-Pants und ihre Caps sitzen schief. Liesa begrüßen sie mit diesem Gefängnisgruß; Faust gegen Faust. Gibt es dafür einen Fachausdruck? Im Moment ist mir das egal. Ich will ihnen auch die Faust geben. Sagt man das so? Sie geben mir die Hand. Es folgt irgendein irrelevanter Smalltalk.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Paul, der am andern Ende des Raumes gerade Getränke bestellt und freue mich, dass mein Bassist auch hier ist. Mit den drei gefüllten Kölschgläsern, die er geholt hat, geht er vor die Tür. Eins gibt er Alessandro. Gibt’s ja nicht. Der Keyboarder ist auch hier.

Sie sehen mich durchs Fenster. Ich winke. Sie schauen erst mich an und tauschen dann hektische Blicke aus, rufen irgendwas mit „Scheiße“ und laufen davon. Ich bin nicht verwirrt oder so. Ich weiß sofort Bescheid. Ich brülle ihnen hinterher, dass ich kein Bock mehr habe. Jetzt rufe ich irgendwas mit „Scheiße“. Und dann, dass ich kein Bock mehr auf diese Band habe. Sowas linkes und verlogenes. Paul ruft, das wär ihm egal. „Mach doch!“

Ich will noch mehr rufen, doch Liesa hat meine Hand genommen und wir rennen weg. Das Café ist schon weit hinter uns, als ich durch die Augen in meinem Hinterkopf auch Sascha sehe. Paul gibt ihm sein Bier und erzählt ihm, was passiert ist. Sascha findet das nicht so lustig und schaut uns hinterher. Dann sagt er irgendwas zu den andern beiden – wahrscheinlich irgendwas mit „Scheiße“ – und sie fangen an zu rennen. Sie verfolgen uns durch die Dunkelheit.

Wir laufen lange und wir laufen weit. Irgendwann kommen wir an ein paar Mehrfamilienhäusern vorbei. Wir biegen links ab, dann rechts und verstecken uns hinter einer Garage. Ich sage ihr, dass sie die beste ist, denn sie kennt die besten Verstecke.

Eine alte Frau fährt auf einem Kettcar an uns vorbei. Vielleicht auch ein Go-Cart. Aber ohne Motor.

Als es schließlich ruhig geworden ist, schaue ich hinter dem Garagenblock hervor und gehe auf die Straße. Jetzt ist es noch ruhiger als zuvor. Man hört noch nicht einmal den Wind. Nur die Dunkelheit.

Am anderen Ende der Straße steht Paul im Schein einer Straßenlampe. Als er mich sieht, rennt er auf mich zu. Ich fange wieder an, davonzulaufen, doch irgendwie ist er schneller und reißt mich zu Boden. Er brüllt irgendwas von wegen, dass ich mich ja aus dem Staub machen würde. Jetzt wo es mit der Band ja losgehen würde, da würde ich kneifen.

Ich schreie in sein Gesicht, dass mir die Band nicht so wichtig ist. Wichtiger ist, dass man dort Freunde hat, die einen nicht verarschen. Er will antworten, doch ich verpasse ihm einen Schlag in die Magengrube. Er geht zu Boden und weint. Sascha und Alessandro sind nirgends zu sehen. Liesa ist auch weg.

Als ich aufwache und feststelle, dass sie neben mir liegt, überlege ich kurz, sie zu wecken. Dann fällt mir ein, dass ich sie schon beim letzten Traum geweckt habe. Das war irgendwas mit Möpsen und Nudeln. Aber nichts Schweinisches.

Dienstag, 17. November 2009

The Hardest Gang of Cologne



Ich renne. Bereits seit 10 Minuten laufe ich so schnell ich kann, doch sie sind noch immer hinter mir. Langsam merke ich, dass meine Ernährung der letzten Wochen, die hauptsächlich aus Tiefkühlpizza und China-Nudeln bestand, einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat: Meine Kondition lässt nach und ich bekomme Seitenstechen. Lange halte ich das nicht mehr durch. Jeder Kölner kennt den Ruf des Stadtteils Ossendorf. Doch was will man machen, wenn die letzte Bahn, die fährt, die Richtung Ossendorf ist und die Endstation nur ein paar Kilometer von Zuhause entfernt ist.

Jetzt bereue ich meine Entscheidung. Mein Atem, den ich bei der Eiseskälte sehen kann und wie einen grauen Schweif hinter mir her ziehe, wird immer schwerer. Meine Beine machen auch nicht mehr lange mit. Und grade als ich um die Ecke biege und mein Haus bereits in Sichtweite ist, passiert es: Ich werde von etwas hartem am Hinterkopf getroffen, gehe zu Boden und schreie auf.

Durch die Dunkelheit höre ich ein schrilles Lachen. Dann ein Husten. Ein Räuspern. Und schließlich wieder ein Lachen, aber diesmal etwas weniger schrill als beim ersten Mal. Der Kloß im Hals war ihm scheinbar unangenehm. Jetzt ist es still.

Ich liege im Lichtkegel der einzigen funktionierenden Straßenlaterne vor meinem Haus und richte mich auf. Ein paar Meter vor mir sehe ich den Gegenstand mit dem ich getroffen wurde. Es sieht aus wie ein… Keks. Und er dampft noch.

Jetzt tritt jemand in den Lichtkegel. Ich sehe zuerst nur die Schuhe und seine Hose, als er sich nach dem Keks bückt, ihn aufhebt und dann ein leises Schmatzen von sich hören lässt.

„Hmm, Siggi. Die sind mal wieder richtig gut. Sie als Munition zu benutzen ist doch wirklich zu schade.“

Er bewegt sich weiter auf mich zu. Und rückt sich dabei seine Hose zurecht. Sie sitzt über seinem Bauchnabel, was ich normalerweise sicher belustigend gefunden hätte. Ich schätze die Situation aber gerade als zu unpassend ein, um mich darüber lustig zu machen.

„Anneliese schickt uns.“

Er kommt noch näher, zieht an seiner Zigarette und haucht mir ins Gesicht. Er riecht nach Marihuana. Der Rauch treibt mir die Tränen in die Augen. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich wieder klar sehen kann. Und als ich es kann… bin ich überrascht. Aber leider nicht weniger beängstigt.

„Oh mein Gott. Sie sind ja. Sie sind ja alt. Richtig alt. Sie könnten mein Vater sein. Wie konnten Sie so schnell…“

Sein schrilles Lachen unterbricht mich. Dann fängt er wieder an zu husten. Schließlich ein kurzes Räuspern.

„Ich bin so alt, dass ich deinem Papa wahrscheinlich auch schon in den Arsch getreten hab.“
„Was wollen Sie?“
„Was denkst du denn? Glaubst du etwa, du kommst ungestraft davon, wenn du einem von uns in der Bahn keinen Platz anbietest!?“
„Aber ich…“
„KEIN ABER!“

Er spuckt mir Kekskrümel ins Gesicht.

„Lass dich hier nie wieder blicken Junge!“

Jetzt tritt der Zweite in den Lichtkegel. Er stützt sich lässig auf seinen Rolator, an dem ein paar geklaute Mercedes-Sterne und ein Fuchsschwanz baumeln.

„Komm Hartmut, der Junge hat seine Lektion gelernt. Lass uns lieber verschwinden, bevor die Bullen kommen.“

Hartmut hat seine Augen noch immer starr auf mich gerichtet, als ich mir die Krümel von der Wange wische. Er zischt mich an: „Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt, Bursche. Denn beim nächsten Mal sind wir nicht so gnädig.“

Dann dreht er sich um und setzt sich auf den Rolator seines Begleiters, der sogleich den Motor startet. Mit aufheulendem Motorengeräusch machen sie sich aus dem Staub. Geschockt bleibe ich noch eine Weile auf der Straße sitzen, bis ich schließlich reingehe und eine heiße Dusche nehme. Ich beschließe, dass es wohl besser ist, mit dieser Geschichte nicht zur Polizei zu gehen.

Obwohl die Typen echt gemeingefährlich waren. Aber der Rolator war schon geil.

Sonntag, 25. Oktober 2009

I Never Read The Bible



Als wir das Mehrfamilienhaus an der Aachener Straße durch die große Holztür verlassen, ist es draußen bereits dunkel geworden. Wenn man um drei Uhr nachmittags mit der Probe beginnt und sich der Proberaum gefühlte 100 m unter der Erde befindet, dann bekommt man absolut gar nichts von der Außenwelt mit. Es sei denn Frau Bräuer, die achtzigjährige Hausmeisterin des Hauses, stattet uns einen Besuch ab und beschwert sich entweder über uns („Von da oben hört sich das an, als seien hier 1000 Russen im Keller“) oder über ihr Leben („Seit 50 Jahren kümmer ich mich jetzt um dieses Haus, und jetzt will die Stadt uns hier raus…“).

Inzwischen ist es halb 8 und wir stehen zwischen den zwei Matratzenläden und planen die nächste Probe, als wir plötzlich durch ein lautes Scheppern aus unserer Unterhaltung gerissen werden. Ein paar Meter weiter ist ein Fahrrad umgefallen. Als wir sehen, dass daneben ein alter, grauhaariger Typ sitzt und die rote Suppe auf den Asphalt tropft, laufen wir zum Ort des Geschehens, um ihm wieder aufzuhelfen.

„Herrgott Vater im Himmel, so eine Scheiße“, murmelt er, als wir ihn fragen, ob er verletzt ist.

Als er wieder auf eigenen Beinen steht, schaut er uns eine Weile an, bis er auf sein Fahrrad zuschwankt und beim Versuch, es wieder aufzustellen, beinahe wieder hinfällt.

„Na herrlich, der hat ordentlich einen im Tee…“

Ich frage ihn erneut ob er verletzt ist und weise ihn auf die rote Lache am Boden hin. Er schaut zu Boden, dann zu mir, dann wieder zum Boden, schließlich wieder zu mir und sagt:

„Na toll, jetzt ist auch noch mein Mineralwasser kaputt gegangen.“

Er zeigt auf den Stumpf einer Rotweinflasche, der noch immer in seinem Fahrradkorb steht. Ein wenig Wein tropft noch immer auf den Boden. Er spricht so leise als würde er Selbstgespräche führen: „Das ist mein Vater schuld. Der will doch nur nicht, dass ich mich hier auf der Straße rumtreibe, der alte Sack.“

Als wir ihn alle recht zeitgleich darauf hinweisen, dass das was da aus seinem Fahrradkorb tropft, eher nach einer guten Flasche Primitivo als nach Evian aussieht, schaut er uns erneut für eine kurze Weile schweigend an, bis er schließlich lauthals zu lachen beginnt.

„Ihr Menschen seid echt mies. Da stirbt man für euch am Kreuz, heilt eure scheiß Wunden, verwandelt euer Wasser in Wein und ist damit der Held eurer WG-Parties und zum Dank erkennt ihr einen nicht mal, wenn man euch auf Straße begegnet.“

„Soso, sind Sie jetzt der Sohn Gottes oder was?“

Meine Frage ermutigt den bärtigen Typen zu umso lauterem Gelächter.

„Macht es gut The Paper Queens. Viel Erfolg mit eurer neuen CD. One Great City ist echt n cooler Song. Ich mag Köln, wisst ihr? Mein Vater regt sich ja immer über die ganzen Schwulen und Lesben hier auf, aber ich finds herrlich!“

Wir bleiben mit offenen Mündern stehen, als Jesus sein Fahrrad nimmt und die Aachener Straße weiter runter fährt. Erst als er aus unserem Sichtfeld verschwunden ist, fällt mir ein, dass ich ihn gerne gefragt hätte, wie dieser Wasser-zu-Wein-Trick funktioniert…

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Getting My Hair Done



Mein letzter Friseurbesuch ist bereits ein halbes Jahr her. Als ich beschließe, dass es mal wieder Zeit dafür ist, weiß genau, wo ich mit dieser Tolle hingehen sollte. Zumindest denke ich, das zu wissen. Ich versuche, mich zu erinnern…

Beim letzten Mal stand ein Vorstellungsgespräch in der Berrenrather Straße an und ich bin zwei Tage vorher hingefahren, um sicherzugehen, dass ich das Büro beim Termin selbst auch finde und nicht zu spät komme.

Ich fahre also mit der Linie 18 bis zur Arnulfstraße und finde auch die Agentur ziemlich schnell. Weil ich nichts zu tun habe, schau ich mir auch die Gegend ein bisschen an. Ich bleibe an einem Spielwarenladen stehen und beobachte meine Reflexion im Schaufenster – die macht immer das gleiche wie ich! - , als mir auffällt, dass ich vor dem Vorstellungsgespräch doch mal zum Friseur gehen sollte. Da es mir nicht reicht, dass mein Spiegelbild stolz auf mich ist, ruf ich auch gleich meine Mutti an und berichte ihr, dass ihr Sohn – und zwar der, den sie noch ein halbes Jahr zuvor immer wieder daran erinnern musste, zwei gleichfarbige Socken anzuziehen – gerade in diesem Moment vernünftig und erwachsen geworden ist. Sie freut sich.

Ich gehe die Berrenrather Straße entlang, bis sie sich mit dem Gürtel kreuzt, um dann am Gürtel weiter Richtung Ehrenfeld zu gehen. Die Salons, an denen ich vorbeikomme, sind mir entweder zu teuer oder zu altmodisch. Bei einem bin ich mir nicht sicher, ob es sich wirklich um einen Friseursalon oder doch eher um einen Schwulenclub handelt.

Als ich kurz davor bin, aufzugeben und in einen dieser Super 10 Hair Company Laden zu gehen – Friseurketten a la McDonalds? Wer denkt sich denn sowas aus?! – komme ich an einem Schaufenster vorbei, aus dem mich ein kleiner Vierbeiner anschaut. Ich bleibe stehen. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich nicht um eine Tierhandlung, sondern um einen Friseur handelt.

Ich gehe rein und werde nicht nur vom glatzköpfigen Friseur freundlich begrüßt, auch der Mops aus dem Schaufenster kann seinen Blick anscheinend nur schwer von mir abwenden. Mir wird gesagt, dass ich keinen Termin brauche, nur eine Nummer ziehen muss und dann in einer halben Stunde dran bin. Ich setze mich hin und will schon fast bereuen, dass ich mir kein Buch mitgenommen habe und mich jetzt wieder mit der Bild der Frau oder der Gala rumschlagen muss, als mein Blick auf den Zeitschriftenständer fällt…

Und so kommt es, dass mir die Wartezeit beim Friseur zum ersten Mal in meinem Leben nicht wie eine Ewigkeit vorkommt, ich mit einem süßen kleinen Mops auf meinem Schoß den Playboy lese und darauf warte, dass mir die Tolle geschnitten wird.

Der Haarschnitt selbst war nichts Besonderes und den Job hab ich auch nicht bekommen – ist aber bestimmt nicht die Frisur dran schuld. Trotzdem, ein knappes halbes Jahr später gibt es für mich keine andere Wahl, als diesen Friseursalon. Ich fahre also erneut zur Arnulfstraße, steige aus und versuche, mich an den Weg zu erinnern…







Als ich nach zwei Stunden an der Haltestelle Zülpicher Straße/Gürtel herauskomme, gebe ich die Suche auf und fahre heimwärts, um irgendwo in Ehrenfeld zum erstbesten Friseur zu gehen. Ich hab das Gefühl, ganz Sülz drei Mal durchlaufen zu haben, ohne mich dem Mops-Salon auch nur ein paar Meter zu nähern. Kurzzeitig überlege ich sogar, nach Hause zu fahren und mir eine Glatze zu rasieren. Aber da hätte ja jetzt keiner was von.

In Ehrenfeld ist der erste Friseursalon an dem ich vorbei komme ein mit Neon-Buchstaben verzierter türkischer „Herren und Damensalon“. Neon? Warum nicht! Ich geh rein.

Drinnen wird scheinbar ausschließlich türkisch gesprochen. Ich werde ein wenig schief angeschaut, als ich hereinkomme. Ich setz mich trotzdem. Die Zeitschriften im Ständer entsprechen weder dem Playboy noch der Gala. Um ehrlich zu sein, weiß ich noch nicht einmal, welchen Zeitschriften sie entsprechen, weil sie alle türkisch sind.

Als ich nach einer Weile dran komme, muss ich den Friseur zuerst einmal davon überzeugen, dass mir ein Vokohila nicht stehen würde und dass ich die Haare oben lieber ein wenig länger hab. An den Seiten und hinten bitte kurz. Und nicht umgekehrt. Irgendwie lässt er sich dann aber doch überzeugen und fängt an.

Nach nur 10 Minuten ist er fertig und fragt mich, ob ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Ich schaue in den Spiegel und bin wirklich mehr als zufrieden. Ich will ihm mein Lob aussprechen, woraufhin er mir noch einmal zu verstehen gibt, dass mir ein Vokohila doch wirklich besser stehen würde.

Als ich aufstehen will, hält er mich an der Schulter fest und drückt mich wieder in den Sitz. Ich bin verwirrt.

„Äh, ich dachte Sie sind fertig.“
„Nein. Sitzen bleiben“

Seine Antwort ist kurz und eindeutig. Er hat seine linke Hand noch auf meiner Schulter, mit der rechten greift er ins Regal und holt ein Rasiermesser heraus. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir hoch, als er laut auflacht und den Glanz der Klinge im Spiegel betrachtet.

Dann hebt er das Messer… und rasiert mir ganz vorsichtig die letzten Nackenhaare weg.

„Jetzt ist fertig.“

Er pinselt mich ab und nimmt die Bezahlung entgegen, woraufhin ich meine Jacke schnappe und mich verabschiede.

Ich bin gerade raus, als mein Telefon klingelt:

„Hey. Du weißt doch noch, wie du mir von diesem Friseur in Sülz vorgeschwärmt hast. Jetzt rate mal, wer gerade einen 1A Haarschnitt bekommen hat und sich vorher noch ein paar Möpse angeschaut hat.“

Ich überlege, welche Möpse er meint und erwider dann:

„Merk dir auf jeden Fall wo der Salon ist, ich hab ihn nicht gefunden.“
„Kein Problem, ich steh noch direkt davor.“

Eine Woche später will er mir zeigen, wo der Friseur ist… nach einem erneuten Stundenmarsch durch Köln Sülz geben wir auf. Wir finden ihn nicht.

Freitag, 25. September 2009

Are You Retarded?



Nach der letzten Bandprobe bevor es wieder ins Studio geht, stehe ich am Hans-Böckler-Platz und warte auf die Linie 3. Normalerweise reicht die 4 ja, um bis zur Wolffsohnstraße und so zu mir nach Hause zu kommen. Aber nach 20 Uhr – so denkt sich die Stadt Köln – braucht ja niemand mehr mit der 4 bis zur Wolffsohnstraße zu fahren. Danke Stadt Köln.

Und wie es dann eigentlich immer so ist, komme ich am Hans-Böckler-Platz an und es kommt zuerst die 4. Die böse 4 nach 20 Uhr. Nach einer knappen Viertel Stunde kommt dann die 3 – die gute 3, die mich bis vor die Haustür bringt – und ich steige ein.

Die Bahn ist leer, bis auf ein knutschendes Pärchen und einen schlafenden jungen Türken. Ich setze mich, stell meine Gitarre und meine Tasche vor mir ab, krame meinen Kopfhörer raus und lausche den Decemberists auf Hazards of Love, während ich aus dem Fenster in die Dunkelheit schaue.

Nach einer Weile lasse ich meinen Blick durch die Bahn schweifen. Das Pärchen ist inzwischen ausgestiegen, was mir die restliche Bahnfahrt definitiv verschönert. Stattdessen steht jetzt eine alte Frau vor mir, die – oh, sie redet mit mir. Kopfhörer runter.

„Wie bitte?“
„Sie wissen, dass das hier ein Behindertenplatz ist, oder?“

Na wenn mir so eine heute mal nicht noch gefehlt hat.

„Oh, ja ich sitze hier nur wegen den vielen Taschen und… aber kein Problem, Sie können gerne hier sitzen.“
„Ja bitte, ich kann Ihnen auch gerne meinen Behindertenausweis zeigen.“
„Äh nein, nicht nötig. Ich glaub Ihnen das wohl.“ Dass sie behindert sind.

Ich bin gerade dabei aufzustehen – denn ich bin ja ein herzensguter Mensch – da höre ich sie ein dezentes „die Jugend von heute…“ vor sich her nuscheln. Weil ich zu müde bin, um mich jetzt noch mit einer Oma anzulegen, tue ich so, als hätte ich sie nicht verstanden, nehme ich meine Gitarre und die Tasche und stelle mich an den Fahrradplatz. Es sind ja schließlich nur noch zwei Stationen.

Ich habe den Vorfall schon fast vergessen und will mich wieder den Decemberists widmen, als ich sehe, dass sie in ihrer Handtasche kramt, um mir anschließend ihren Behindertenausweis vor die Nase zu halten.

Ich bin ja ein herzensguter Mensch. Wie gesagt. Aber jetzt ist mir irgendwie nicht mehr danach, freundlich zu sein.

„Das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder? Sie sind doch nicht sprachbehindert, oder? Wenn Sie auf dem Platz sitzen wollen – obwohl ja die ganze Bahn frei ist und sie, so wie ich das sehe, keine Rollstuhlfahrerin sind und nicht auf Krücken angewiesen sind – dann sagen Sie das doch einfach.“

Jetzt sagt sie nichts mehr. Als ich aussteige hört sie mich noch ein dezentes „Alte Schachtel“ vor mich hernuscheln. Sie tut so, als hätte sie mich nicht verstanden.

Auf dem Heimweg geht der junge Türke aus der Bahn neben mir.

„Ey, was hatte die denn für ein Problem?!“

Ich erklärs ihm.

„Ach mach dir nichts draus. Ich kenn die. Die ist immer so behindert.“

Dienstag, 15. September 2009

I Don't Need A Doctor...



„Herr Schmitz bitte? Herr Schmitz!?”

“Ich muss auflegen, ich bin jetzt dran… was?... ja, wie auch immer… machs gut.“

Die Praxishelferin schaut mich ein wenig misstrauisch an bevor sie mir den Raum zeigt, in dem ich warten soll. An der Wand hängt eine große Leinwand mit einem schönen alten grünen Caddilac. Bevor ich den Rest des Beratungszimmers in Ruhe betrachten kann, kommt der Arzt ins Besprechungszimmer.

„Herr Schmitz, nehme ich an?“
„Ja richtig, Doktor Meisner?“

Er sieht mich einen Moment schweigend an. Schließlich fragt er:
„Woher wissen Sie das?“

Ich bin verwirrt.

„Äh, von Ihrem Türschild? Und von meinem Hausarzt, der mich an Sie verwiesen hat?!“

Er schweigt noch eine Weile. „Ja richtig. Ich bin Doktor Meisner.“

Schweigen. So langsam frage ich mich, ob ich hier wirklich richtig bin.

„Was fehlt Ihnen denn, Herr Schmitz?“

„Naja, eigentlich nichts, ich muss nur meine Haut mal untersuchen lassen. Muttermale und so… Sie wissen schon. Das übliche halt.“

„Verstehe, dann machen Sie sich doch bitte frei…“

Ich habe gerade meinen Pullover ausgezogen, da fängt Doktor Meisner an wie ein kleines Mädchen zu kichern. Er weist mich auf die Schweißränder an meinem Shirt hin und fragt, ob ich nervös sei.

Ich überlege, ob ich mal wieder meine unglaublich überzeugenden Schauspielkünste auspacken soll (1. Ich bin mit dem Rad hierher gefahren, 2. Banküberfall, 3. Ihre Klimaanlage im Warteraum funktioniert nicht, sie Arsch…), als mir einfällt, dass Doktor Meisner ein sehr gebildeter Mann sein muss. Schließlich hat er Medizin studiert. Ich entscheide mich für die Wahrheit:

„Ich hab gerade mit meiner Ex telefoniert.“
„Oh, verstehe. Wie lange ist Schluss?“
„2 Wochen.“
„Wer hat’s beendet?“
„Beide.“

Er betrachtet mich kurz. „Ihren Schweißrändern entnehme ich, dass da noch immer Gefühle im Raum sind.“ Pause. „Und Ihrem Schweigen entnehme ich, dass ich recht habe.“

Wow. Der ist echt gut. Ich frage mich wieder, ob ich hier richtig bin, oder ob Doktor Meisner nicht in Wirklichkeit Psychologe ist. Er fragt mich, ob ich glaube, dass noch einmal was draus wird.

„Naja, sie hat ziemlich tiefe Wunden bei mir hinterlassen...“

„Nicht so tief, wie die Wunden, die ich hinterlasse, wenn ich mit den Leberflecken auf Ihrem Rücken fertig bin, hahaha!“

Der Mediziner fängt lauthals an zu lachen, dann muss er husten und sich räuspern, um wieder ernst zu werden. Er gibt mir zu verstehen, dass ich mich weiter ausziehen soll. Als ich schließlich nackt vor ihm stehe, verschwindet das Lächeln auf seinem Gesicht wieder.

„Aber mal im Ernst, Wunden sind zum Heilen da. Und ich weiß wovon ich rede. Ich bin schließlich Arzt.“

Während er so erzählt, dreht er mich ein paar mal im Kreis und nimmt mich dabei unter die Lupe. Weil mir die Sache irgendwie unangenehm ist, lasse ich ihn weiter erzählen.

„Frauen sind so eine Sache für sich. Immer wenn man denkt, dass man sie verstanden hat, beweisen Sie Ihnen das Gegenteil.“

Als er schließlich fertig ist, ziehe ich mich wieder an und frage Ihn, was zu tun sei.

„Naja, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin ja schließlich kein Psychologe, sondern Dermatologe.“ Er lacht.

Und zum ersten mal bin ich mir sicher, dass ich hier doch richtig bin.

„Aber wenn sie mich fragen, sollten sie versuchen, was zu versuchen ist. Wissen sie, die Frage ist nicht, ob wir an die wahre Liebe glauben, sondern ob sie an uns glaubt...“

Bevor er weiter ins Philosophische abdriftet, unterbreche ich ihn. „Doktor Meisner. Ich meinte nicht, was wegen ihr zu tun sei, sondern wegen mir. Die Muttermale? Operieren?“

„Äh, ach ja. Fünf davon sehen nicht gut aus. Die müssen ganz schnell weg. Lassen Sie sich vorne einen Termin geben.“

Ich ziehe meine Socken und Schuhe wieder an und bedanke mich bei ihm für seine Beratung für Kopf und Körper. Ich überlege kurz, ob ich ihm sagen sollte, dass er auch einen guten Psychologen abgegeben hätte. Aber ich weiß ja nicht, ob das nicht vielleicht immer schon sein Traum war, und er es einfach nie gepackt hat und deswegen Hautarzt geworden ist. Aber immerhin ist er Spezialist für Geschlechtskrankheiten. Doch ich weiß nicht, ob es ihn trösten würde, ihm das noch mal vor Augen zu halten.

Ich mache den ersten möglichen Termin – Mitte Dezember – und verlasse die Praxis.

Sonntag, 6. September 2009

A Book Judged By Its Cover



Ich sitze im Zug von Soest nach Hamm und ärgere mich, dass ich mir nichts zu lesen mitgenommen habe, als ich von meinem Gegenüber hektisch aus meinen Gedanken gerissen werde. Seine Nase blutet sehr stark und er fragt nach einem Taschentuch. Ich krame in meiner Tasche und finde zwischen Ipod, Handy, Haustürschlüssel und dem neuen Ikea-Katalog schließlich meine letzten, bereits angebrochenen Taschentücher.

„Die kannste behalten…“

Er nimmt die Packung, dann seinen Koffer, bedankt sich leise und verschwindet.

Ich sehe, dass auf seinem Platz noch ein Buch liegt, nehme es und gehe im nach. Als ich ihm hinterherrufe, er habe seine Lektüre vergessen, beschleunigt er seinen Schritt. Er dreht sich um und sieht mich mit dem Buch in der Hand. Jetzt fängt er an zu rennen. Der Zug kommt zum stehen, die Türen öffnen sich und er springt nach draußen.

„Viel Glück mein Freund!“, schreit er noch zu mir herein, bis er schließlich die Treppen des Bahnhofs hinunterläuft und verschwindet.

Komischer Typ.

Ohne großartig zu überlegen, stecke ich das Buch in meine Tasche und steige in Hamm aus, um auf den nächsten Zug nach Köln zu warten.

Ich muss erst wieder daran denken, als ich im RE7 sitze. Die hübsche Blondine mit dem Nasenring, die mir gegenüber sitzt, scheint sich nicht für mich zu interessieren, also starre ich gelangweilt aus dem Fenster, bis mir schließlich das Buch wieder einfällt. Ich hole es aus meiner Tasche und höre, wie die Blondine anfängt zu kichern. Ich versuche zu lächeln.

Ja, belesene Typen schinden schnell Eindruck bei jungen Frauen.

Das ist zumindest der erste Gedanke, den ich habe. Erst als ich meine Augen von ihr abwende, um mich wieder dem Buch zu widmen, sehe ich den wahren Grund für ihr Kichern. Die Rückseite des Buchs zeigt auf halber Seite ein Foto der schwedischen Autorin Kerstin Thorvall. Mit Hornbrille und Pottschnitt grinst sie dem vermeintlichen Leser entgegen. Darunter steht eine kurze Zusammenfassung und der Verlag: „Neue Frau“.

Klasse. Soviel zum Thema Eindruck schinden…

Weil ich aber weiter den kultivierten jungen Typen geben möchte, versuche ich mir nichts anmerken zu lassen (was ziemlich schwierig ist, da mir die Sache sehr peinlich ist und ich merke, dass ich ziemlich rot werde), schlage das Buch irgendwo in der Mitte auf und tu so, als würde ich weiterlesen:

„Der Strand auf der kleinen Insel war ein Nacktbadestrand. Sie hatte sich abgewandt. Ich sah, wie Gittan und sie sich auszogen. Plötzlich viel mir ein, dass es lange her war, dass ich sie ohne Kleider gesehen hatte. Ich wollte nicht, dass sie sich je umdrehte. Und doch wollte ich es. Voller Entsetzen und Lust erhob sich mein in den Körper integriertes, aber doch selbstständiges Organ, als…“

Ich bin auf eine seltsame Weise sofort von diesem Buch gepackt, als plötzlich Blut auf die Seite tropft und mich von der Lektüre ablenkt. Meine Nase blutet. Ich suche verzweifelt nach Taschentüchern, bis mir wieder einfällt, wo meine letzte Packung abgeblieben ist.

Das Mädchen von gegenüber hat meine missliche Lage bereits erkannt und bietet mir ihre letzten Taschentücher an. Ich nehme die Packung, dann meine Tasche, bedanke mich leise und siehe zu, dass ich aus diesem Zug komme. Ich höre sie noch hinter mir herrufen, dass ich mein Buch vergessen hätte, als ich aus der Bahn in die Freiheit springe.


P.S.: Sollte jemals jemand den Roman „Die Verschwundene“ von Kerstin Thorvall in der Bahn liegen sehen, lasst die Finger davon. Oder versichert euch wenigstens vorher, dass ihr eine Packung Taschentücher dabei habt. Ich bin ja nicht abergläubisch oder so, aber dieses Buch ist verflucht!

Mittwoch, 26. August 2009

The Psychological Tiger



„Ich werde also wiedergeboren?“
„Yes.“
„Als Tier!?“
„Yeah.“
„Schwere Frage…“

Ich gönne mir noch einen Schluck von meinem Bier, denke nach und mache noch einen Abschlag. Ein paar Sekunden später hört man in unmittelbarer Ferne Glas zerspringen.

Immer wenn Tiger Woods in der Stadt ist, komme ich mit ihm hier rauf. Großstadtgolf sollte zur olympischen Disziplin erklärt werden. Ich frage mich, ob unsere Hausmeisterin uns auch aufs Dach gelassen hätte, wenn wir ihr gesagt hätten, dass wir nicht wirklich Fotos vom Dom bei Nacht schießen wollen, sondern eher auf den Dom bei Nacht schießen wollen.
Ich nehme den letzten Schluck und hole weit aus:

„Im Grunde genommen gibt’s nur zwei gute Möglichkeiten: Entweder du wirst als Löwe wiedergeboren. Dann bist du sowieso der König aller Tiere, chillst in der Savanne rum und wenn du ab und zu mal Hunger hast, dann krallst du dir mal eben ne Gazelle oder n Zebra oder so was…“

„Okay, that makes sense, what is die other Möglichkeit?“, entgegnet er mit seinem charmanten, amerikanischen Akzent.

„…Naja, oder du wirst als Laborratte wiedergeboren.“

Tiger Woods verschluckt sich an seinem Bier und schaut mich fragend an. Ich grinse.

„Überleg‘ doch mal: Entweder du bist so ne Standard-Laborratte, dann wird irgendwas an dir getestet, funktioniert aber nicht und du stirbst daran. Dann kannst du ja immer noch im darauf folgenden Leben der König der Savanne werden. Oder aber an dir wird was getestet, das tatsächlich funktioniert… ein Mittel, das dir Flügel wachsen lässt oder so. Dann bist du die erste Ratte mit Flügeln und wirst zur absoluten Berühmtheit.“

Tiger Woods muss lachen, dann mache ich ihm Platz und übergebe ihm den Schläger.

„Like Dolly, das Klonschaf?“
„Ja genau, nur eben mit Flügeln, oder zwei Köpfen oder so. Ich mein klar, bist du nicht der König der Savanne, nicht der König der Tiere. Aber du bist was besonderes, was du machst ist einzigartig: Du bist die einzige fliegende Ratte!“

Woods schweigt einen Moment, dann schaut er konzentriert auf den Ball, anschließend wieder in die Ferne, wieder auf den Ball, die Ferne, macht schließlich seinen Abschlag.

Wir lauschen.

Ca. 650 Meter in Schlagrichtung entfernt explodiert ein Auto. Ich schaue beschämt zu Boden und der Champ freut sich über seinen Sieg.

Das ist jetzt das vierzehnte Mal, dass er mich hier besucht. Und ich habe noch nie gegen ihn gewonnen. Irgendwas stimmt mit meiner Technik nicht. Dabei müsste ich doch eigentlich Heimvorteil haben…

Mittwoch, 19. August 2009

A Call for the Madison



Auf dem Weg zum Bahnhof fällt mir eines Tages das Hotel Madison auf. Es liegt zwischen Hansaring und Hauptbahnhof auf der rechten Seite und ist in grellen Farben gestrichen. Aber nicht einfach gestrichen, sonst wär es mir ja warscheinlich garnicht erst aufgefallen: Es zeigt die Skyline von New York und Köln zugleich. Da stehen doch tatsächlich der Dom und das Empire State Building in einer schönen großen Comic Stadt.

Und das beste: Spiderman! In doppelter Lebensgröße. Oder ein Hulk im Spidermankostüm in normaler Lebensgröße. Vielleicht auch King-Kong in halber Lebe... spielt ja auch keine Rolle. Mein erster Gedanke: Hier sollte ich dringend mal eine Nacht verbringen.

Dass ich ja nur ein paar Minuten weit entfernt wohne, vergesse ich anscheinend sofort. Ich bin begeistert und frage mich, ob wohl im Innern des Hotels noch mehr Comichelden auf mich warten.

Bei meinem nächsten Vorbeifahren am Hotel – ich konnte am Vorabend vor Vorfreude kaum schlafen – verfliegt mit einem Mal alle Begeisterung, als ich die Hausfassade genauer betrachte. Erschreckt stelle ich fest, das Spiderman nicht der einzige Held auf dieser bunten Wand ist. Sowohl Batman, als auch Superman sind ebenfalls vertreten. Ich beschließe, mir beim nächsten Mal die Nummer aufzuschreiben und mich zu beschweren. Jedes Kind weiß doch:

Spiderman at New York City
Superman at Metropolis
Batman at Gotham City

Als ich wieder zuhause bin, greife ich zum Telefon und wähle die Nummer des Madisons.

„Madison Hotel Köln, was kann ich für Sie tun?“ Köln? Die können wohl nicht genug Städte haben…

Ich hole erst tief Luft und dann weit aus:

„Das kann doch nicht ihr Ernst sein, oder? Sie verkaufen Ihren Kunden unrealistische Darbietungen. Sie wollen doch nur, dass ein möglichst großes Klientel angesprochen wird. Je mehr Superhelden, desto besser, was? Aber nene, so nicht. Nicht mit mir.“

Die Rezeptionistin versucht mich zu beruhigen. Ich merke, dass ihr dieser Anruf mehr als unangenehm ist. Sie will mich überreden, bei einer kostenlosen Übernachtung auf eine Verbreitung der offensichtlich sehr gemeinen Verkaufsstrategie zu verzichten – ich falle ihr erbost ins Wort:

„In ihrem Dreckshotel würde ich mir noch nicht mal den Arsch abwischen wollen!“

Nach diesem Satz habe ich zwei Möglichkeiten:

1. Ich entschuldige mich für meine miserablen Umgangsformen, lehne ihr nett gemeintes Angebot der kostenfreien Übernachtung freundlich ab und verabschiede mich mit einem seriösen „Dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Feierabend.“

2. Ich schmeiße mein Telefon mit voller Wucht an gegen die Wand, in der Hoffnung, dass die Frau an der Rezeption davon einen sehr sehr lauten Knall oder einen richtig miesen grellen Piepston hört, von dem ihr die Ohren bluten werden.

Letztendlich entscheide ich mich für keins von beidem und komme zur Vernunft: Der Knall wäre nie und nimmer so laut, dass ihre Ohren bluten würden. Und selbst wenn; ich gehe nicht davon aus, dass die vermeintlich nette Dame am Empfang diejenige war, die die Fassade gestrichen hat. Wer hätte denn dann in der Zeit die Anrufe entgegen genommen?

Ich finde einen Kompromiss: Ohne was zu sagen lege ich auf, und schmeiß dann erst das Telefon gegen die Wand. Hoffentlich hören meine Nachbarn das nicht.

Das ganze tu ich nur um meinen Standpunkt klarzustellen: Die kommerzielle Ausbeutung von Superhelden ist eine schlimme Sache. Wir müssen etwas dagegen tun!

Samstag, 15. August 2009

The Itzy Bitzy Spider...



Das erste, das ich sehen kann, als ich aufwache, ist eine riesige Spinne an der Decke des kleinen Kellerraumes, in dem ich übernachte, wenn ich bei meinen Eltern zu Besuch bin. Einen Moment lang starre ich sie an und ich glaube sie starrt auch zurück, wobei ich mir da nicht sicher bin. Spinnen haben ja bekanntlich sehr viele Augen.

Weil ich nicht weiß, wie ich auf diese ungewöhnliche Begegnung reagieren soll, schließe ich meine Augen wieder und tu so, als würde ich weiterschlafen. Hoffentlich hat sie mich nicht gesehen.

Nach ein paar Minuten merke ich, dass mein schauspielerisches Talent zwar gut genug ist, um den Fahrkartenkontrolleuren bei der DB vorzugaukeln, ich sei Sascha (Udo) Moecker und studiere an der FH Düsseldorf Elektrotechnik (pah, die Idioten, ich hab doch gerkeine Ahnung von Elektronik, das sieht man doch!), nicht aber gut genug, um diesem kleinen achtbeinigen Möchtegerntier vorzuspielen, ich würde tief und fest schlafen.

Ich blinzel an die Decke und schaue nach ob sie noch da ist. Sie sitzt noch immer am selben Platz und scheint wenig interessiert daran zu sein, sich weg zu bewegen.

Ich muss daran denken, dass mir mal jemand erzählt hat, dass man in seinem Leben statistisch gesehen wohl ziemlich viele Insekten verschluckt (die krabbeln in den Mund während man schläft, stimmt das?) und frage die Spinne, ob sie sich meinen Mundraum auch schon von innen angeschaut hat.

Nachdem ich nach einer halben Stunde noch immer keine Antwort erhalte, stehe ich wütend auf und gehe. Ich bin empört über die pure Dreistigkeit. Wie kann man in meinem Zimmer an der Decke kleben und dann noch nicht mal antworten, wenn man eine simple Frage gestellt bekommt.

Einfach nur dreist sowas!

P.S.: Ich entschuldige mich dafür, dass ich die Bilder heute nicht selbst geschossen habe. Das widerspricht ein wenig dem künstlerischen Aspekt dieses Blogs. Zu meiner Verteidigung: Ich war einfach zu empört über diesen Arachnid (ähem), um mich mit ihm ablichten zu lassen. Vielen Dank.

Dienstag, 11. August 2009

Wassereis finishes first



Er wusste noch nicht so recht, was er sagen sollte, wenn er geklingelt hatte. Eine wirklich gute Ausrede hatte er nicht. Ein „Jasmin, hey, ewig nicht gesehen… äh, ficken?“ würde sie wohl kaum überzeugen. In dem Moment, als sich sein Finger von der Klingel löste und die eher untypische Türmelodie noch ein wenig nachhallte – ich glaube es war die Melodie vom A-Team – überlegte er kurz, einfach wieder wegzulaufen. Doch im Grunde wusste er, dass es ihn schon zu viel Überwindung gekostet hatte, hier her zu kommen; er konnte jetzt nicht einfach gehen.

Außerdem wollte er wissen ob die vielen Theorien stimmten. In den letzten Tagen hatte er viel drüber nachgedacht. Von Green Days „Nice Guys finish last“ bis hin zur Naked-Man-Theorie aus „How I met your Mother“. Stimmte das Ganze wirklich? Hatten Arschlöcher tatsächlich mehr Erfolg bei Frauen? Siegt am Ende doch immer die nackte Dreistigkeit?

Sie öffnete die Tür,

„Tom? Was machst du denn hier? Ich hab dich ja ewig nicht gesehen! Wie geht es dir?“
„Naja… meinem Aussehen entsprechend…“
„Ähm, also gut schätze ich?“

Er versuchte ihr Lächeln zu erwidern, als ihm einfiel, dass er heute morgen zwischen leeren Bierdosen aufgewacht war, sich weder die Zähne geputzt noch geduscht hatte und zum Frühstück die letzten Reste hatte, die sein Kühlschrank aufbringen konnte: Zwei Scheiben Salami und ein seit 3 Wochen abgelaufenes Knäckebrot.

„Danke für das Kompliment. Ehrlich gesagt geht es mir beschissen. Meine Freundin hat Schluss gemacht und…“
„Oh mann, nicht im Ernst. Das tut mir Leid. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, dann sag mir Bescheid.“

Er schwieg einen Moment.

„Sorry, aber ich glaube, das Einzige, was mir zur Zeit helfen würde, wäre guter Sex oder ein Wassereis…“

Eine halbe Stunde später lagen sie verschwitzt auf ihrem Bett und genossen ihr Wassereis in vollen Zügen.

Samstag, 8. August 2009

The Waterbomb Incident



Der Mann, den ich durch den Türspion meiner Wohnung sehe, sieht wütend aus. Ich weiß, warum er hier ist und suche schon mal nach einer Ausrede. Ich öffne ihm die Tür und er schaut mich an. Er ist ungefähr doppelt so breit wie ich und hielt es anscheinend nicht für nötig, sich für seinen kleinen Besuch ein Shirt anzuziehen. Er ist Mitte 40 und seine rechte Schulter ziert ein großes Tribal-Tattoo. Ich habe ein wenig Angst.

„Morgen.“

Er riecht nach Whiskey und hat eine überaus raue Stimme.

„Guten Morgen.“
„Du weißt warum ich hier bin, oder?“

Ich überlege kurz, ob ich mich dumm und unwissend stellen soll, denke dann aber an meine miserablen schauspielerischen Fähigkeiten und entscheide mich dagegen. Er sieht nicht aus, als wäre mit ihm zu spaßen. Vielleicht hätte ich vor dem Öffnen der Tür meine Brille absetzen sollen. Dafür ist es jetzt auch zu spät.

„Ähm, wegen den Wasserbomben schätze ich?!“

Meine Mitbewohner sind schon seit ein paar Tagen weg und mein Bruder ist erst vor ein paar Minuten wieder gefahren. Als er gestern hier ankam, hielt er es für eine gute Idee, mir Wasserbomben zu schenken. Er und meine Bandkollegen, die ebenfalls zu Besuch waren, hatten aber sichtlich mehr Spaß damit. Und so kam es, dass sich alle nach ein paar gemütlichen Bieren auf dem Balkon versammelten, um von dort aus die Autos zu bewerfen, die unten an der Ampel warteten.

Mein Nachbar fand das anscheinend nicht so knorke…

„Junge, du wohnst hier im 6. Stock. So Wasserbomben können ganz schön an Fahrt gewinnen, wenn man die aus so einer Höhe wirft. Ist dir eigentlich klar, was das für Beulen geben kann? Ich schau gleich nach, ob mein Auto irgendwas abgekriegt hat. Und sollte das der Fall sein, dann hoffe ich für dich, dass du deine Brille abgenommen hast.“

Aha, also doch...

Nach kurzem Überlegen nehme ich die Standardausrede, die auch bei meinen Eltern immer schon funktioniert hat: „Äh, das war ich nicht“ und schiebe noch ein leises „sorry“ hinterher.

Er schaut mich ungläubig an: „Aber du wohnst doch hier, oder?“
„Ja schon, aber ich hatte gestern Besuch. Von meinem kleinen Bruder, wissen sie?“

Damit leite ich eine Serie von Lügen ein, mit der ich Versuche, mich in eine weiße Weste zu zwängen. Ich erzähle ihm, dass mein 10 jähriger Bruder zu Besuch war und die Wasserbomben in einem Anflug von –in dem Alter ja schließlich üblichem- infantilem Leichtsinn vom Balkon geschmissen hat.

„Da war ich aber grad einkaufen.“ Sicher, um halb 11.

„Als ich zurückgekommen bin, hab ich ihm natürlich sofort gesagt, er solle damit aufhören.“ Äh, klar doch.

Auf seine Frage, warum denn dann heute morgen noch Wasserbomben geflogen sind, folgt ein kurzes, aber unangenehmes Schweigen. Ich überlege kurz, ihm einfach die Tür vor die Nase zu knallen.

„Äh, naja, Kinder halt…“ antworte ich und schaue ihn mit dem ehrlichsten aufgesetzten Blick an, den ich gerade aufbringen kann. Er schaut mich noch eine Weile grimmig an und macht die Situation dadurch nicht gerade angenehmer. Ich überlege, ob ich ihm als kleines Freundschaftsangebot ein Bier anbieten soll, erinner mich dann aber an die vielen leeren Flaschen, die noch in der Bude rumstehen und dass die meinem Mein-kleiner-Bruder-war-zu-Besuch-Alibi schaden könnten.

Nach einer Weile streckt er die Hand aus –ich zucke kurz zusammen- und sagt: „Naja, ist ja nichts passiert. Ich bin Harri, wohne schräg unter euch.“ Schräg ist der Typ auf jeden Fall, das stimmt. „Komm doch mal auf n Bier vorbei.“ Damit verabschiedet er sich und verschwindet im Treppenhaus.

Ich schließe die Tür hinter mir und bin wieder mal erstaunt über mein schauspielerisches Talent. Scheint ja doch nicht so schlecht zu sein.