Donnerstag, 17. Dezember 2009

Play it again, please



Als die Orgel ausgeklungen ist schauen wir uns an. Aarons Blick verrät mir zum siebten oder achten Mal während dieser Fahrt dasselbe: „Ich will es nochmal hören.“ Ich kann und will ihm seine Bitte nicht abschlagen und drücke erneut die Taste auf dem CD-Player, die dafür sorgt, dass es wieder von vorne los geht. Eine halbe Sekunde vergeht und das Schlagzeug setzt ein, bis Ben Gibbard beginnt uns davon zu erzählen wie schön es ist, wenn alles verbrennt.

Es muss um die 2 Uhr Nachts sein, denn die Autobahn ist vollkommen leer. Artur sitzt hinten und schläft. Wir sitzen vorne und reden nicht. Ich frage mich, ob man als Außenstehender jetzt sehen könnte, wie glücklich wir sind. Dreckig, müde und zerzaust in einem mit Gitarren, Amps und Schlagzeugteilen völlig überfüllten Polo, der zum Entsetzen von Aarons Mutter nur einen einzigen Airbag hat.

Der Gig war in einem großen Zelt beim Rover Camp. Es ist Spätsommer 2008. Weil es den ganzen Tag über geregnet hat ist alles voller Dreck und Matsch. Auf der Bühne ist die Ausrutschgefahr genauso hoch wie davor. Der ganze Auftritt läuft super, bis mir beim letzten Song – Hangover Boy – die tiefe E-Saite reisst. Ich nehme Andis Ersatzgitarre und gleich beim ersten Anschlag reisst mir auch hier die selbe Saite. Weil mir die Ersatzgitarren damit auch schon ausgegangen sind, leg ich sie wieder auf Seite und lasse die andern drei wissen, dass wir den Song heute mal nur mit einer Gitarre spielen müssen. Ich versuche meine Gitarrenspur zu singen und bin nachher ziemlich überzeugt davon, dass sich das auch ziemlich gut angehört hat, bis mich Aaron fragt, was mich denn da geritten hätte…

Wir machen die Bühne frei für die letzte Band des Abends, irgendeine Party-Cover-Band. Als wir uns nach dem Umbau im Publikum tummeln, finden wir schnell heraus, dass die Pfadfinder hier grade ziemlich betrunken und große Fans der Seven Nation Army Bassline sind. Also stimmen wir sie nach jedem Song an und sehen dabei zu, wie sich die Coverband jedes Mal irgendwie genötigt sieht, den Song zu spielen. Sie haben ihn aber nicht im Repertoire und ihr Basser kennt den Song anscheinend nicht, was uns natürlich noch größere Freude bereitet.

Als sie fertig sind bauen wir ab und bleiben noch eine Weile, bis wir schließlich die Sachen ins Auto laden und – bis auf Andi, der noch über Nacht im Camp bleibt – uns auf den Heimweg begeben. „Grapevine Fires“ ist der erste Song der läuft und weil es uns so gut geht und wir nicht wollen, dass das alles vorbei geht, ist er auch der einzige Song der läuft. Immer und immer wieder hören wir, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir alle verbrennen. Und zum Schluss dann doch die Hoffnung, die uns sagt:

“And the firemen worked in double shifts
With prayers for rain on their lips
And they knew it was only a matter of time”

Death Cab for Cutie – Grapevine Fires

Samstag, 5. Dezember 2009

I Had a Dream of My Band



Wir sitzen bei meinen Eltern. Liesa und ich. Und füllen irgendwelche Fragebögen aus. Wie damals in der Fahrschule. Eigentlich nichts, was Spaß macht, aber irgendwie doch. Man ist froh, wenn man alles richtig hat. Ob ich alles richtig hab, weiß ich nicht mehr.

Meine Eltern wohnen anscheinend in Köln. Denn wir fahren mit der Straßenbahn nach Hause. Linie 12 oder 13. Es ist schon dunkel. Wir kommen an irgendeinem Café an, wo sie mir Freunde vorstellen will. Als ich die sehe, wundert es mich, dass ich noch nie von ihnen gehört habe. Sie tragen dicke Baggy-Pants und ihre Caps sitzen schief. Liesa begrüßen sie mit diesem Gefängnisgruß; Faust gegen Faust. Gibt es dafür einen Fachausdruck? Im Moment ist mir das egal. Ich will ihnen auch die Faust geben. Sagt man das so? Sie geben mir die Hand. Es folgt irgendein irrelevanter Smalltalk.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Paul, der am andern Ende des Raumes gerade Getränke bestellt und freue mich, dass mein Bassist auch hier ist. Mit den drei gefüllten Kölschgläsern, die er geholt hat, geht er vor die Tür. Eins gibt er Alessandro. Gibt’s ja nicht. Der Keyboarder ist auch hier.

Sie sehen mich durchs Fenster. Ich winke. Sie schauen erst mich an und tauschen dann hektische Blicke aus, rufen irgendwas mit „Scheiße“ und laufen davon. Ich bin nicht verwirrt oder so. Ich weiß sofort Bescheid. Ich brülle ihnen hinterher, dass ich kein Bock mehr habe. Jetzt rufe ich irgendwas mit „Scheiße“. Und dann, dass ich kein Bock mehr auf diese Band habe. Sowas linkes und verlogenes. Paul ruft, das wär ihm egal. „Mach doch!“

Ich will noch mehr rufen, doch Liesa hat meine Hand genommen und wir rennen weg. Das Café ist schon weit hinter uns, als ich durch die Augen in meinem Hinterkopf auch Sascha sehe. Paul gibt ihm sein Bier und erzählt ihm, was passiert ist. Sascha findet das nicht so lustig und schaut uns hinterher. Dann sagt er irgendwas zu den andern beiden – wahrscheinlich irgendwas mit „Scheiße“ – und sie fangen an zu rennen. Sie verfolgen uns durch die Dunkelheit.

Wir laufen lange und wir laufen weit. Irgendwann kommen wir an ein paar Mehrfamilienhäusern vorbei. Wir biegen links ab, dann rechts und verstecken uns hinter einer Garage. Ich sage ihr, dass sie die beste ist, denn sie kennt die besten Verstecke.

Eine alte Frau fährt auf einem Kettcar an uns vorbei. Vielleicht auch ein Go-Cart. Aber ohne Motor.

Als es schließlich ruhig geworden ist, schaue ich hinter dem Garagenblock hervor und gehe auf die Straße. Jetzt ist es noch ruhiger als zuvor. Man hört noch nicht einmal den Wind. Nur die Dunkelheit.

Am anderen Ende der Straße steht Paul im Schein einer Straßenlampe. Als er mich sieht, rennt er auf mich zu. Ich fange wieder an, davonzulaufen, doch irgendwie ist er schneller und reißt mich zu Boden. Er brüllt irgendwas von wegen, dass ich mich ja aus dem Staub machen würde. Jetzt wo es mit der Band ja losgehen würde, da würde ich kneifen.

Ich schreie in sein Gesicht, dass mir die Band nicht so wichtig ist. Wichtiger ist, dass man dort Freunde hat, die einen nicht verarschen. Er will antworten, doch ich verpasse ihm einen Schlag in die Magengrube. Er geht zu Boden und weint. Sascha und Alessandro sind nirgends zu sehen. Liesa ist auch weg.

Als ich aufwache und feststelle, dass sie neben mir liegt, überlege ich kurz, sie zu wecken. Dann fällt mir ein, dass ich sie schon beim letzten Traum geweckt habe. Das war irgendwas mit Möpsen und Nudeln. Aber nichts Schweinisches.