Sonntag, 25. Oktober 2009

I Never Read The Bible



Als wir das Mehrfamilienhaus an der Aachener Straße durch die große Holztür verlassen, ist es draußen bereits dunkel geworden. Wenn man um drei Uhr nachmittags mit der Probe beginnt und sich der Proberaum gefühlte 100 m unter der Erde befindet, dann bekommt man absolut gar nichts von der Außenwelt mit. Es sei denn Frau Bräuer, die achtzigjährige Hausmeisterin des Hauses, stattet uns einen Besuch ab und beschwert sich entweder über uns („Von da oben hört sich das an, als seien hier 1000 Russen im Keller“) oder über ihr Leben („Seit 50 Jahren kümmer ich mich jetzt um dieses Haus, und jetzt will die Stadt uns hier raus…“).

Inzwischen ist es halb 8 und wir stehen zwischen den zwei Matratzenläden und planen die nächste Probe, als wir plötzlich durch ein lautes Scheppern aus unserer Unterhaltung gerissen werden. Ein paar Meter weiter ist ein Fahrrad umgefallen. Als wir sehen, dass daneben ein alter, grauhaariger Typ sitzt und die rote Suppe auf den Asphalt tropft, laufen wir zum Ort des Geschehens, um ihm wieder aufzuhelfen.

„Herrgott Vater im Himmel, so eine Scheiße“, murmelt er, als wir ihn fragen, ob er verletzt ist.

Als er wieder auf eigenen Beinen steht, schaut er uns eine Weile an, bis er auf sein Fahrrad zuschwankt und beim Versuch, es wieder aufzustellen, beinahe wieder hinfällt.

„Na herrlich, der hat ordentlich einen im Tee…“

Ich frage ihn erneut ob er verletzt ist und weise ihn auf die rote Lache am Boden hin. Er schaut zu Boden, dann zu mir, dann wieder zum Boden, schließlich wieder zu mir und sagt:

„Na toll, jetzt ist auch noch mein Mineralwasser kaputt gegangen.“

Er zeigt auf den Stumpf einer Rotweinflasche, der noch immer in seinem Fahrradkorb steht. Ein wenig Wein tropft noch immer auf den Boden. Er spricht so leise als würde er Selbstgespräche führen: „Das ist mein Vater schuld. Der will doch nur nicht, dass ich mich hier auf der Straße rumtreibe, der alte Sack.“

Als wir ihn alle recht zeitgleich darauf hinweisen, dass das was da aus seinem Fahrradkorb tropft, eher nach einer guten Flasche Primitivo als nach Evian aussieht, schaut er uns erneut für eine kurze Weile schweigend an, bis er schließlich lauthals zu lachen beginnt.

„Ihr Menschen seid echt mies. Da stirbt man für euch am Kreuz, heilt eure scheiß Wunden, verwandelt euer Wasser in Wein und ist damit der Held eurer WG-Parties und zum Dank erkennt ihr einen nicht mal, wenn man euch auf Straße begegnet.“

„Soso, sind Sie jetzt der Sohn Gottes oder was?“

Meine Frage ermutigt den bärtigen Typen zu umso lauterem Gelächter.

„Macht es gut The Paper Queens. Viel Erfolg mit eurer neuen CD. One Great City ist echt n cooler Song. Ich mag Köln, wisst ihr? Mein Vater regt sich ja immer über die ganzen Schwulen und Lesben hier auf, aber ich finds herrlich!“

Wir bleiben mit offenen Mündern stehen, als Jesus sein Fahrrad nimmt und die Aachener Straße weiter runter fährt. Erst als er aus unserem Sichtfeld verschwunden ist, fällt mir ein, dass ich ihn gerne gefragt hätte, wie dieser Wasser-zu-Wein-Trick funktioniert…

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Getting My Hair Done



Mein letzter Friseurbesuch ist bereits ein halbes Jahr her. Als ich beschließe, dass es mal wieder Zeit dafür ist, weiß genau, wo ich mit dieser Tolle hingehen sollte. Zumindest denke ich, das zu wissen. Ich versuche, mich zu erinnern…

Beim letzten Mal stand ein Vorstellungsgespräch in der Berrenrather Straße an und ich bin zwei Tage vorher hingefahren, um sicherzugehen, dass ich das Büro beim Termin selbst auch finde und nicht zu spät komme.

Ich fahre also mit der Linie 18 bis zur Arnulfstraße und finde auch die Agentur ziemlich schnell. Weil ich nichts zu tun habe, schau ich mir auch die Gegend ein bisschen an. Ich bleibe an einem Spielwarenladen stehen und beobachte meine Reflexion im Schaufenster – die macht immer das gleiche wie ich! - , als mir auffällt, dass ich vor dem Vorstellungsgespräch doch mal zum Friseur gehen sollte. Da es mir nicht reicht, dass mein Spiegelbild stolz auf mich ist, ruf ich auch gleich meine Mutti an und berichte ihr, dass ihr Sohn – und zwar der, den sie noch ein halbes Jahr zuvor immer wieder daran erinnern musste, zwei gleichfarbige Socken anzuziehen – gerade in diesem Moment vernünftig und erwachsen geworden ist. Sie freut sich.

Ich gehe die Berrenrather Straße entlang, bis sie sich mit dem Gürtel kreuzt, um dann am Gürtel weiter Richtung Ehrenfeld zu gehen. Die Salons, an denen ich vorbeikomme, sind mir entweder zu teuer oder zu altmodisch. Bei einem bin ich mir nicht sicher, ob es sich wirklich um einen Friseursalon oder doch eher um einen Schwulenclub handelt.

Als ich kurz davor bin, aufzugeben und in einen dieser Super 10 Hair Company Laden zu gehen – Friseurketten a la McDonalds? Wer denkt sich denn sowas aus?! – komme ich an einem Schaufenster vorbei, aus dem mich ein kleiner Vierbeiner anschaut. Ich bleibe stehen. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich nicht um eine Tierhandlung, sondern um einen Friseur handelt.

Ich gehe rein und werde nicht nur vom glatzköpfigen Friseur freundlich begrüßt, auch der Mops aus dem Schaufenster kann seinen Blick anscheinend nur schwer von mir abwenden. Mir wird gesagt, dass ich keinen Termin brauche, nur eine Nummer ziehen muss und dann in einer halben Stunde dran bin. Ich setze mich hin und will schon fast bereuen, dass ich mir kein Buch mitgenommen habe und mich jetzt wieder mit der Bild der Frau oder der Gala rumschlagen muss, als mein Blick auf den Zeitschriftenständer fällt…

Und so kommt es, dass mir die Wartezeit beim Friseur zum ersten Mal in meinem Leben nicht wie eine Ewigkeit vorkommt, ich mit einem süßen kleinen Mops auf meinem Schoß den Playboy lese und darauf warte, dass mir die Tolle geschnitten wird.

Der Haarschnitt selbst war nichts Besonderes und den Job hab ich auch nicht bekommen – ist aber bestimmt nicht die Frisur dran schuld. Trotzdem, ein knappes halbes Jahr später gibt es für mich keine andere Wahl, als diesen Friseursalon. Ich fahre also erneut zur Arnulfstraße, steige aus und versuche, mich an den Weg zu erinnern…







Als ich nach zwei Stunden an der Haltestelle Zülpicher Straße/Gürtel herauskomme, gebe ich die Suche auf und fahre heimwärts, um irgendwo in Ehrenfeld zum erstbesten Friseur zu gehen. Ich hab das Gefühl, ganz Sülz drei Mal durchlaufen zu haben, ohne mich dem Mops-Salon auch nur ein paar Meter zu nähern. Kurzzeitig überlege ich sogar, nach Hause zu fahren und mir eine Glatze zu rasieren. Aber da hätte ja jetzt keiner was von.

In Ehrenfeld ist der erste Friseursalon an dem ich vorbei komme ein mit Neon-Buchstaben verzierter türkischer „Herren und Damensalon“. Neon? Warum nicht! Ich geh rein.

Drinnen wird scheinbar ausschließlich türkisch gesprochen. Ich werde ein wenig schief angeschaut, als ich hereinkomme. Ich setz mich trotzdem. Die Zeitschriften im Ständer entsprechen weder dem Playboy noch der Gala. Um ehrlich zu sein, weiß ich noch nicht einmal, welchen Zeitschriften sie entsprechen, weil sie alle türkisch sind.

Als ich nach einer Weile dran komme, muss ich den Friseur zuerst einmal davon überzeugen, dass mir ein Vokohila nicht stehen würde und dass ich die Haare oben lieber ein wenig länger hab. An den Seiten und hinten bitte kurz. Und nicht umgekehrt. Irgendwie lässt er sich dann aber doch überzeugen und fängt an.

Nach nur 10 Minuten ist er fertig und fragt mich, ob ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Ich schaue in den Spiegel und bin wirklich mehr als zufrieden. Ich will ihm mein Lob aussprechen, woraufhin er mir noch einmal zu verstehen gibt, dass mir ein Vokohila doch wirklich besser stehen würde.

Als ich aufstehen will, hält er mich an der Schulter fest und drückt mich wieder in den Sitz. Ich bin verwirrt.

„Äh, ich dachte Sie sind fertig.“
„Nein. Sitzen bleiben“

Seine Antwort ist kurz und eindeutig. Er hat seine linke Hand noch auf meiner Schulter, mit der rechten greift er ins Regal und holt ein Rasiermesser heraus. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir hoch, als er laut auflacht und den Glanz der Klinge im Spiegel betrachtet.

Dann hebt er das Messer… und rasiert mir ganz vorsichtig die letzten Nackenhaare weg.

„Jetzt ist fertig.“

Er pinselt mich ab und nimmt die Bezahlung entgegen, woraufhin ich meine Jacke schnappe und mich verabschiede.

Ich bin gerade raus, als mein Telefon klingelt:

„Hey. Du weißt doch noch, wie du mir von diesem Friseur in Sülz vorgeschwärmt hast. Jetzt rate mal, wer gerade einen 1A Haarschnitt bekommen hat und sich vorher noch ein paar Möpse angeschaut hat.“

Ich überlege, welche Möpse er meint und erwider dann:

„Merk dir auf jeden Fall wo der Salon ist, ich hab ihn nicht gefunden.“
„Kein Problem, ich steh noch direkt davor.“

Eine Woche später will er mir zeigen, wo der Friseur ist… nach einem erneuten Stundenmarsch durch Köln Sülz geben wir auf. Wir finden ihn nicht.