Sonntag, 14. März 2010

Changing Trains



Als der Fahrkartenkontrolleur auf mich zukommt schaue ich zunächst dezent auf die Uhr. Nicht wegen der Uhrzeit, sondern wegen des Datums. Es ist bereits Anfang März (der neunte, heute hat mein kleiner Bruder Geburtstag!) und ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich zuletzt kontrolliert wurde. In diesem Jahr jedenfalls noch nicht… Dezember? Nicht, dass ich wüsste! November? Nein, muss länger hergewesen sein! August? Ja, August kommt hin! Bin mir ziemlich sicher, dass ich eine kurze Hose trug…

Er steckt mein Ticket in die Laserknarre (Ich find ja, dass das Ding echt aussieht wie eine Laserkanone. Vielleicht sogar Phaser, aber dafür hab ich Star Trek zu selten geschaut. Vielleicht arbeitet die DB ja an einer Methode, Schwarzfahrer direkt zu beseitigen…), während ich Ihn dabei beobachte. Er hat einen ziemlich dicken Schnäuzer (Popelbremse, alternativ auch Schenkelbesen) und glatt gegelte graue Haare unter der roten DB-Mütze.

Plötzlich schießt es aus mir heraus:

„Sie waren wohl im Winterschlaf, oder?“
„Bitte?!“
„Naja, ich frag ja nur. Ich wurd seit Ewigkeiten nicht mehr kontrolliert und da wollte ich nur mal wissen, ob es nicht vielleicht sein könnte, dass Sie sich im Winter mit Ihren Kollegen von der KVB ein kleines Nest bauen und es sich dort schön gemütlich einrichten. Ist ja gar nicht böse gemeint oder so…“

Irgendwie scheint er mich das nicht zu glauben…

„Nicht böse gemeint?! Sie sollten wissen, dass es oft nicht allzu gesund ist, zu sagen was man denkt!“

Ich versuche, seine Aussage richtig zu deuten. Glaube er versucht mir zu drohen. Niemand – zur Verdeutlichung gerne wiederholt - Niemand wirkt bedrohlich in der stets zu großen DB-Jacke und dem lustigen roten Mützchen.

Kurz überlege ich, ob ich ihm das auch so sagen sollte, beschließe dann aber, lieber auf seine Aussage einzugehen.

„Naja, um ehrlich zu sein tu ich das wirklich so gut wie nie. Ich sage selten was ich denke. Und das ist wirklich schade, weil ich ein sehr neugieriger Mensch bin, wissen Sie? Wollen Sie ein Beispiel?“

Er möchte mir sagen, dass er natürlich kein Beispiel will, aber ich falle ihm ins Wort.

„Wenn ich zum Beispiel ein fettes Pärchen sehe - kein dickes oder pummeliges Pausbäckchen-Duo, sondern ein zentnerschweres, rollendes Steakvernichter-Gespann – dann fällt es mir wirklich schwer still zu bleiben. Dann möchte ich am liebsten aufspringen, auf sie zulaufen und versuchen, sie zu umarmen. Und nachdem ich beiden dann freudig erregt mitgeteilt habe wie klasse ich das finde, dass sie das machen, dass sie sich so akzeptieren wie sie sind - mit all ihren Makeln - dann frage ich sie, wie sie das machen. So rein physisch. Sie wissen schon, im Bett und so.“

Er schaut mich angewidert an.
„Ach ich bitte Sie. Als ob Sie das noch nie wissen wollten.“

Jetzt schaut er ein wenig verschämt zu Boden.

„Na bitte. Also mich interessiert das schon. Nicht nur das „wie?“ sondern auch das „was?“ und wie flexibel man ist und so weiter und so fort…“

„Und ob das nicht gefährlich ist, das wollte ich immer schon mal wissen!“, brüllt der Schaffner plötzlich. „Das wollte ich immer schon mal wissen! Da kann man sich doch sicher was quetschen, oder brechen oder zumindest prellen!“

Er setzt sich zu mir und nachdem wir noch ein wenig über fette Menschen beim Sex geredet haben, frage ich ihn schließlich, ob man mit dem Kontrolliergerät auch Leute erschießen kann. Er lacht.

„Nein, aber das ist ein super Flaschenöffner!“

Dann holt er zwei Flaschen Früh-Kölsch aus seinem Rucksack, öffnet sie mit der Laserknarre und wir stoßen an.