Sonntag, 17. Oktober 2010

Moving into Places


Seitdem ich in Opladen wohne wird der Bahnhof erneuert. Das hat zur Folge, dass alle 30 Minuten ein grelles Signalhorn ertönt, das die Bauarbeiter vor dem einlaufenden Zug warnt. Das Signalhorn ist sehr, sehr laut. Unsere Wohnung ist nicht weit vom Bahnhof entfernt. In der ersten Woche hier hab ich gar nicht gut geschlafen, inzwischen hab ich mich dran gewöhnt. Ich bin gespannt, ob ich‘s vermissen werde, wenn die Bauarbeiten einmal abgeschlossen sind. Liesa hat erzählt, dass die Bahn den Anwohnern ein Hotelzimmer bezahlt, wenn sie sich durch den Lärm zu stark beeinträchtigt fühlen. Vielleicht geben sie mir ja auch ein Zimmer, wenn ich nach Fertigstellung des Bahnhofs nicht mehr schlafen kann, weil ich das Signalhorn einfach zu sehr vermisse...

Ich sitze seit langem wieder in der Bahn. Eine Sache, die nach meinem Umzug leider zur Seltenheit geworden ist. Wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass ich lange nichts mehr zu Papier gebracht hab. Wenn ich statt einer Stunde Bahnfahrt nur noch zwei Minuten Fußweg zur Arbeit habe, dann fehlt zum Schreiben einfach die Zeit. Dabei sollte der Umzug doch eigentlich Zeitersparnis bringen?!

Der Zug fährt am Kölner HBF ein - beinahe zeitgleich mit dem RE9. Das gehört zu meinen Lieblingsmomenten beim Bahnfahren: Nebeneinander fahrende und immer langsamer werdende Züge. Als hätte man eine Fernbedienung, mit der man sein Leben kurz in Zeitlupe abspielen lassen kann.

Als ich ausstiege fällt mir wieder auf, wie schweinekalt es in den letzten Tagen geworden ist. Heute morgen bin ich aufgewacht und die Heizung war aus. Liesa ist im Urlaub. Es war so kalt, dass ich meinen Atem sehen konnte. Draußen auf der Straße ist das vielleicht okay, aber in meinem Schlafzimmer hat das nichts zu suchen.

Auf dem Weg vom HBF zum neuen Proberaum hat man das Gefühl, an allen sozialen Schichten der Stadt vorbeizukommen. Das ist umso interessanter, wenn man bedenkt, dass der neue Proberaum am Bogen 2 unter der Hohenzollernbrücke und damit nur knappe 200 Meter vom HBF entfernt ist.

Zuerst kommen die schnöseligen Anzugträger, die mit mir den Bahnhof auf der Rückseite verlassen. Die werden dann meist abgeholt von weniger schnöseligen Anzugträgern, auf deren DIN A4 Zetteln in großen Buchstaben Namen wie Müller oder Meier-Rosendhal stehen. Meier-Rosendhal ist natürlich die weibliche Variante , denn eine emanzipierte Geschäftsfrau gibt natürlich auf keinen Fall ihren Mädchennamen auf, wenn sie geheiratet hat. Selbst dann nicht, wenn daraus so ein beknackter Doppelname wie Kaufmann-Berghahn oder Müller-Rosendhal entsteht. Und was passiert eigentlich wenn zwei Menschen mit Doppelnamen heiraten? Wird das nicht viel zu kompliziert irgendwann? Wenn die ihren Kindern dann auch noch schnöselig viele Vornamen geben, blickt doch keiner mehr durch...

Am Busbahnhof tummeln sich die, die sich keinen Chauffeur leisten können. Ein paar Meter weiter haben zwei ehemalige Hartz IV-Empfänger eine Fahrradwerkstatt aufgemacht. Je weiter man sich vom HBF entfernt, desto beißender wird der Gestank nach Pisse und Bier.

Neben unserem Proberaum befindet sich das Gulliver, ein Obdachlosencafé. Auf den letzten Metern davor liegen grundsätzlich immer ein bis zwei tote Tauben, ich weiß zwar nicht woher die kommen, aber inzwischen hab ich mich auch daran so sehr gewöhnt, dass ich sie vielleicht vermissen würde, wenn sie mal nicht dort lägen.

Nach und nach trudeln auch die anderen drei am Proberaum ein. Wir gehen rein, schließen die Instrumente an und versuchen den neuen Song von der letzten Probe wieder auf die Reihe zu kriegen. Er handelt vom kurzen Leben eines Heliumluftballons...

Mittwoch, 4. August 2010

Swim until you can‘t see Land



Glück ist schlecht für die Kreativität. Zumindest für meine. Dabei bin ich mir nicht mal sicher ob Glück der richtige Begriff ist. Eher Zufriedenheit. Innere Ruhe. Ich weiß nicht wie man es nennt, denn die Zeiten, in denen ich mich so gut gefühlt hab, hielten entweder nie sehr lange an oder stellten sich schnell als gute Schauspieler unter Beweis.

Jedenfalls hab ich keinen einzigen vernünftigen Satz zu Papier gebracht, seitdem es mir so geht. Seitdem ich mit den alten Geistern der Vergangenheit abgeschlossen hab, die Füße hochgelegt und es mir in der neuen Wohnung gemütlich gemacht hab.

Ich habe ein Haus. Irgendwo im Nirgendwo. Es spielt keine Rolle wo es ist, die Hauptsache ist, dass es eine schöne alte Veranda vor dem Eingang hat. Da sitz ich dann und sage: „Siehst du das? Es geht mir gut! Du kannst mich mal.“

Dann höre ich lange nichts. Ich bin mir fast schon sicher, dass das Schicksal nach Hause gegangen ist um ein neues Opfer für seine Schikanen zu suchen, als es mir aus der Dunkelheit entgegen lacht: „Wie lange ist es her? Deine Kugelschreiber sind schon längst vertrocknet, von deinem Füller ganz zu schweigen! Du hast nichts mehr zu sagen. Bleib in deinem Vorgarten und fang schonmal an, dein Grab zu schaufeln.“

Ich sage nichts. Ich warte bis das Gelächter verschwunden ist und gehe in mein Haus zurück. Als ich mit einem Blatt Papier in der Hand zurück komme ist es draußen ein wenig heller geworden. Ich setze mich in meinen Schaukelstuhl und schaue in die Ferne. Ich denke nach.

Nach drei Stunden habe ich mich noch immer kein Stück bewegt, bis schließlich mein linker Zeigefinger zuckt. Zögerlich bewegt er sich in Richtung Papier. Aus Angst davor, das Schicksal hätte die Wahrheit sagen können, habe ich auf Kugelschreiber oder Füller verzichtet und stattdessen einen Bleistift gewählt. Langsam formen sich die Buchstaben auf dem Papier: „Schwimm zurück.“

Dann wache ich auf. Mir ist kalt und ich bin nass. Ich versuche aus dem Bett aufzustehen und ertrinke beinahe bei dem Versuch. Um mich herum ist das Meer. Atlantikküste. Urlaub mit der Familie.

Ich habe Leute immer beneidet, die sich einfach flach mit dem Rücken aufs Wasser legen und sich treiben lassen. Die Sorglosigkeit und Gelassenheit dazu hat mir immer gefehlt und meine eigene Unruhe hat mich jedes Mal unter Wasser gedrückt. Und jetzt bin ich so gelassen, dass ich beim Versuch dabei eingeschlafen und einige Hundert Meter aufs offene Meer hinausgetrieben bin. Ich atme tief ein und mache mich auf den Rückweg.

Es ist schon seltsam, dass Liesa und ich erst vor einem Monat in die neue Wohnung gezogen sind und ich jetzt - nach nur ein paar Tagen ohne die hohlen Altbauwände, die schiefen Böden und das bequemste Sofa der Welt - bereits Heimweh habe.

Als ich schließlich wieder an der Küste ankomme ist niemand mehr am Strand. Ich drehe mich zurück zum Horizont und brülle Ihn an: „Siehst du das, Schicksal? Es geht mir gut! Du kannst mich mal am Arsch lecken!“

Dann fange ich an zu tanzen und singe Brothers in Arms, so laut ich kann: "I was lost but now I‘m found. I was lost but now I'm found. I was lost. But now I'm found, when I‘m alone, when I‘m with you."

Sonntag, 6. Juni 2010

Two Years in Cologne



Soviel vorab: Da mein PC sich in den letzten Tagen gänzlich von mir verabschiedet hat und ich mich dazu auch noch im Umzugsstress befinde, habe ich es im letzten Monat gänzlich versäumt, diesen Blog zu pflegen. Herr Schleime - mein ehemaliger Deutschlehrer – hat es gehasst, wenn ich irgendwo so lange und teilweise verschachtelte Sätze mit Informationen vollgepackt habe. Deswegen widme ich ihm den nächsten Eintrag, der folgenden Untertitel trägt:

Wahllose Einsätzer zu Gedanken und Erlebnissen aus der schönsten Stadt am Rhein


Dienstag | 30.3.2010 | Shout Out Louds in der LMH

Die Dicke der Brillengestelle der heutigen Gäste verhält sich antiproportional zur Weite ihrer Hosen.


Freitag | 28.11.2008 | Poplife in der LMH

An einem meiner ersten Arbeitstage gewöhne ich mich schon mal an das wöchentliche Kollektivversagen, wenn die Menge bei „Westerland“ bereits nach der ersten Strophe den Refrain mitgröhlen will.


Sonntag | 8.2.2009 | Am Dom

Beim ersten Date mit Liesa rutschen wir mit Anlauf über die regennassen Domplatten, um schließlich vollkommen durchnässt den Flügel im Domhotel zu spielen.


Freitag | 18.9.2009 | Poplife in der LMH

Nach mehrmaligem Nachfragen – meinerseits – mache ich dem Gast schließlich einen Whiskey-Cola Light.


Samstag | 14.4.2010 | Frightened Rabbit im Luxor

Das Konzert wird zur ungeahnten Tortur, weil das Mädchen vor uns furchtbare Blähungen hat.


Samstag | 20.3.2010 | SAE

Nach einem halben Jahr Terminverschiebungen sind „The Paper Queens“ endlich im Studio, um den Song „Knowledge“ aufzunehmen; von den Aufnahmen haben wir bis heute noch nichts gehört.


Freitag | 18.12.2010 | Wieder mal die Poplife in der LMH

Weil ich ihm keinen Whiskey in seinen Whiskey-Cola nachschütten will („Ey, Da ist gar kein Alkohol drin, ey!“), werde ich von einem Kunden als Nazi bezeichnet, bevor er mir offenbart, dass meine Kinder später meinetwegen zum Psychiater müssen.


Sonntag | 6.5.2010 | Opladen, neue Wohnung

Weil Liesa noch auf sich warten lässt, baue ich unser neues Bett schon mal auf, ein schwarzes IKEA HEMNES, ganz alleine! Das wollte ich nur mal loswerden!

Mittwoch, 7. April 2010

Hometown Birthday


2.4.2010, 11:14 Uhr: Der Tag danach. Ich hab nicht viel getrunken und doch dröhnt mein Kopf als wolle er mir das Gegenteil beweisen. Seitdem ich die Zwanziger überschritten habe, hab ich das Gefühl zum echten Weichei mutiert zu sein – zumindest was das Trinken angeht. Wenigstens weiß ich noch alles von letzter Nacht. Nach einer kalten Dusche und dem besten Frühstück der Welt – Nougat Bits und Schokochips in eiskalter Vollmilch – setze ich mich an mein Notebook und fange an zu schreiben.

03:33 Uhr: Als wir am Haus meiner Eltern ankommen, versuche ich vergeblich wieder ein bisschen Ruhe reinzubringen. Marius steigt aus, um mich herauszulassen und Jill betont zum Abschied noch, dass ich allein mit den Gesprächsthemen während der Rückfahrt jetzt ja eigentlich wieder genug Stoff für einen Blogeintrag zusammen hätte. Ich steige aus und Dennis ruft vom Beifahrersitz: „Hey Benne!“ Ich dreh mich noch mal zum Auto um. „Halt die Ohren steif…“

Ich vervollständige seinen Abschiedsgruß: „…und den Pimmel auch!“

03:14 Uhr: „Ich muss euch mal was fragen!“ Im Auto wird es ruhig. „Ne, jetzt mal im Ernst. Wichtige Sache. Da hab ich mich letztens mit Chris drüber unterhalten und wir haben uns richtig gestritten deswegen…“ Jetzt wird’s interessant denke ich und warte ab, bis Dennis schließlich wieder ansetzt um seine Frage zu formulieren: „Also, wenn Ihr wählen könntet was Ihr wärt, was würdet Ihr nehmen: Vampir oder Werwolf? Und ich meine jetzt nicht so ne Twilight-Scheiße!“

Obwohl ich mir das Lachen echt verkneifen muss, erkläre ich ihm, dass ich auf jeden Fall den Werwolf nehmen würde. „Ich mein, einmal im Monat ist Vollmond. Dann läufst du halt draußen rum und lässt die Sau raus. Naja und den Rest des Monats lebst du ganz normal dein Leben…“ Jubelnd stimmt Dennis mir zu. Jill hingegen lässt verlauten, dass sie eher auf der Vampir-Seite ist, wird aber sofort von Dennis’ scheinbar einzigem, aber zugleich niederschmetterndem Argument entwaffnet: „Und was machst du, wenn du mal mit deinen Freunden grillen willst? Kannste nicht! Musst ja im Dunkeln bleiben!“

03:05 Uhr: Wir haben es endlich ins Auto geschafft – jedenfalls fast. Dennis irrt noch immer vor der Kajüte rum und flucht, weil Martin und Chris nicht mit zurück fahren. Martin kommt nicht, weil er irgendeine alte Flamme getroffen hat und nun versucht erneut bei ihr zu landen. Und Chris kommt nicht mit, weil er Martin dabei scheinbar tatkräftig unterstützen will.

Als Dennis schließlich auf das Auto zugeschwankt kommt, ruft er gerade irgendwas von schlaffen Penissen und dass da heute sowieso nichts läuft und überhaupt und achegal. Marius dreht sich zu uns um und sagt: „Wartet ab. So wie ich ihn kenne, will er jetzt noch zu irgendeiner Fressbude.“ In diesem Moment reißt Dennis die Fahrertür auf und teilt uns unmissverständlich mit, dass er noch Burger-King-Gutscheine hat und deswegen eine Runde Cheeseburger bei McDonalds ausgibt.

Marius gibt sich gelassen. „Alles klar, machen wir! Steig ein!“ Die Fahrertür schließt sich wieder, Marius dreht sich zu uns um und lacht: „Als ob ich jetzt noch irgendwo hinfahren würde.“ Dann geht die Beifahrertür auf und während Dennis einsteigt heißt es: „Ey, ich hab ganz vergessen, dass ich gar keine Knete mehr hab… Bei Mäcces müsst ihr dann wohl bezahlen…“

02:17 Uhr: Ich stehe an der Kasse und will bezahlen, als ich höre wie Dennis grade irgendwen verabschiedet. „OKAY, HALT DIE OHREN STEIF ALTER! UND DEN PIMMEL AUCH!“. Klassischer Moment, in dem ich mir wünsche, dass die Musik ausgeht, damit diese Worte in der ganzen Cocktailbar nachhallen können. Herrlich.

Nachdem wir uns von allen verabschiedet haben, machen auch wir uns auf den Weg zum Ausgang, als Martin plötzlich bei irgendeinem Mädchen stehen bleibt, uns mitteilt, dass er in zwei Minuten nachkommt und wir doch schon mal rausgehen sollen. Wird wohl nicht lange dauern…

00:11 Uhr: Jill: „Wann schreibst du mal wieder nen neuen Blog-Eintrag?“
Ich: „Naja, wenn es sich ergibt… wenn nicht viel passiert, kann ich ja auch nicht viel schreiben…“

1.4.2010, 10:32 Uhr: Der erste April. Maxis Geburtstag. Nach zwei Weizenbier mit meinen Eltern und einem netten Gespräch mit meiner Mama darüber, dass ich mich Ende April wieder tätowieren lasse – was sie zuerst für einen schlechten Aprilscherz hält – setzt mich mein Bruder ins Auto und fährt mich zur Kajüte, der so ziemlich einzigen Cocktailbar in der Nähe von Herzfeld…

Sonntag, 14. März 2010

Changing Trains



Als der Fahrkartenkontrolleur auf mich zukommt schaue ich zunächst dezent auf die Uhr. Nicht wegen der Uhrzeit, sondern wegen des Datums. Es ist bereits Anfang März (der neunte, heute hat mein kleiner Bruder Geburtstag!) und ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich zuletzt kontrolliert wurde. In diesem Jahr jedenfalls noch nicht… Dezember? Nicht, dass ich wüsste! November? Nein, muss länger hergewesen sein! August? Ja, August kommt hin! Bin mir ziemlich sicher, dass ich eine kurze Hose trug…

Er steckt mein Ticket in die Laserknarre (Ich find ja, dass das Ding echt aussieht wie eine Laserkanone. Vielleicht sogar Phaser, aber dafür hab ich Star Trek zu selten geschaut. Vielleicht arbeitet die DB ja an einer Methode, Schwarzfahrer direkt zu beseitigen…), während ich Ihn dabei beobachte. Er hat einen ziemlich dicken Schnäuzer (Popelbremse, alternativ auch Schenkelbesen) und glatt gegelte graue Haare unter der roten DB-Mütze.

Plötzlich schießt es aus mir heraus:

„Sie waren wohl im Winterschlaf, oder?“
„Bitte?!“
„Naja, ich frag ja nur. Ich wurd seit Ewigkeiten nicht mehr kontrolliert und da wollte ich nur mal wissen, ob es nicht vielleicht sein könnte, dass Sie sich im Winter mit Ihren Kollegen von der KVB ein kleines Nest bauen und es sich dort schön gemütlich einrichten. Ist ja gar nicht böse gemeint oder so…“

Irgendwie scheint er mich das nicht zu glauben…

„Nicht böse gemeint?! Sie sollten wissen, dass es oft nicht allzu gesund ist, zu sagen was man denkt!“

Ich versuche, seine Aussage richtig zu deuten. Glaube er versucht mir zu drohen. Niemand – zur Verdeutlichung gerne wiederholt - Niemand wirkt bedrohlich in der stets zu großen DB-Jacke und dem lustigen roten Mützchen.

Kurz überlege ich, ob ich ihm das auch so sagen sollte, beschließe dann aber, lieber auf seine Aussage einzugehen.

„Naja, um ehrlich zu sein tu ich das wirklich so gut wie nie. Ich sage selten was ich denke. Und das ist wirklich schade, weil ich ein sehr neugieriger Mensch bin, wissen Sie? Wollen Sie ein Beispiel?“

Er möchte mir sagen, dass er natürlich kein Beispiel will, aber ich falle ihm ins Wort.

„Wenn ich zum Beispiel ein fettes Pärchen sehe - kein dickes oder pummeliges Pausbäckchen-Duo, sondern ein zentnerschweres, rollendes Steakvernichter-Gespann – dann fällt es mir wirklich schwer still zu bleiben. Dann möchte ich am liebsten aufspringen, auf sie zulaufen und versuchen, sie zu umarmen. Und nachdem ich beiden dann freudig erregt mitgeteilt habe wie klasse ich das finde, dass sie das machen, dass sie sich so akzeptieren wie sie sind - mit all ihren Makeln - dann frage ich sie, wie sie das machen. So rein physisch. Sie wissen schon, im Bett und so.“

Er schaut mich angewidert an.
„Ach ich bitte Sie. Als ob Sie das noch nie wissen wollten.“

Jetzt schaut er ein wenig verschämt zu Boden.

„Na bitte. Also mich interessiert das schon. Nicht nur das „wie?“ sondern auch das „was?“ und wie flexibel man ist und so weiter und so fort…“

„Und ob das nicht gefährlich ist, das wollte ich immer schon mal wissen!“, brüllt der Schaffner plötzlich. „Das wollte ich immer schon mal wissen! Da kann man sich doch sicher was quetschen, oder brechen oder zumindest prellen!“

Er setzt sich zu mir und nachdem wir noch ein wenig über fette Menschen beim Sex geredet haben, frage ich ihn schließlich, ob man mit dem Kontrolliergerät auch Leute erschießen kann. Er lacht.

„Nein, aber das ist ein super Flaschenöffner!“

Dann holt er zwei Flaschen Früh-Kölsch aus seinem Rucksack, öffnet sie mit der Laserknarre und wir stoßen an.

Donnerstag, 25. Februar 2010

Confessions of a long Youth | Pt. 1



Weil ich gerade erst 17 geworden bin und mein Führerschein somit noch ein Jahr auf sich warten lässt, bin ich bei den Fahrten von Herzfeld nach Lippborg zum Proberaum auf Artur und seinen Führerschein angewiesen. Ich weiß nicht mehr warum, aber an diesem späten Dienstagnachmittag, irgendwann im Sommer 2006, kann Artur nicht zur Probe kommen. Für mich heißt es also Fahrrad oder per Anhalter fahren. Und da es draußen herrlich warm ist und es von Herzfeld nach Lippborg nur ein paar Kilometer sind, fällt mir die Wahl nicht schwer.

Um halb fünf stehe ich also – Gitarre in der linken, Daumen raus an der rechten Hand – an der Hauptstraße und warte darauf, mitgenommen zu werden. Als ich eine halbe Stunde später (Ist nicht so schnell wie es sich anhört, wenn man bedenkt, dass man eigentlich nur die Hälfte der Zeit bräuchte. Aber manchmal ist das halt so beim trampen, man braucht länger fürs Warten als für die Fahrt an sich) im Proberaum ankomme, sind Andi und Aaron bereits da und schauen ungeduldig auf die Uhr. Ich bin froh, dass wir – anders als bei den Paper Queens – keine Regelung fürs Zuspätkommen haben. Probe Minute eine Liegestütze…

Nach der Probe geht’s zu Andi, eigentlich das damals übliche Sommerprogramm. Jeder einen Sitzsack, gemütlich gedämmtes Licht und dann geht der Shisha-Schlauch rum, während wir uns von Jack Johnson (alternativ auch Foo Fighters – In Your Honor CD 2) bedudeln lassen.

Aber da heute Dienstag ist, bleiben wir auf dem Weg nach oben bei der Restaurantküche hängen. Dienstags gibt es im Gasthaus Willenbrink Spare-Ribs bis zum Abwinken. Und nicht irgendwelche Spare-Ribs, nene, Andis Papa macht die besten verdammten Spare-Ribs der Welt. Wir haben Andi mal gefragt, wie sein Vater es schafft, dass sich das Fleisch so gut von den Knochen löst. Er hat uns erklärt, dass der Metzger die Schweine vor dem Schlachten einmal ordentlich verprügelt, um innen mal alles aufzulockern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Aaron das auch heute noch glaubt…

Also bleiben wir an diesem Dienstag Abend im Sommer 2006 unten in der Wirtschaft, lassen uns königliche Spare-Ribs servieren, genießen eisgekühlten Whiskey (sogar ohne Cola) und feiern uns selbst. Man könnte fast meinen, wir seien auf dem direkten Wege in die erwachsene Ernsthaftigkeit, wenn der Abend an diesem Punkt geendet hätte.

Vielleicht waren es zu viele von den köstlichen Rippchen, wahrscheinlich war es einfach zu viel Alkohol, jedenfalls beschließen wir, noch ein wenig frische Luft zu schnappen, anstatt endlich schlafen zu gehen.

Am frühen – sehr frühen – Morgen gibt es in Lippborg nicht viel zu sehen (zu irgendeiner anderen Tageszeit eigentlich auch nicht) und so ist uns nach kurzer Zeit langweilig…

…bis wir an diesem alten Mercedes vorbeikommen. 15 Jahre hat der mindestens schon hinter sich. Es ist zu dunkel um es zu erkennen, aber ich wette er ist oliv-grün. Oder kack-braun. So wie alle alten Autos hier in der Gegend. Als hätte es damals einen großen Farb-Super-GAU gegeben, in dem alle schönen bunten Autos in farbliche Tristesse getunkt werden mussten. Aber sein Stern, so schön, wie er glitzert. Wie er strahlt, in dieser tiefschwarzen Nacht… nach einem kräftigen Ruck ist sein Glanz erloschen. Ich stecke ihn in meine Tasche…

…am nächsten Morgen bin ich wieder auf dem Weg zur Hauptstraße. Die letzte Nacht hat erinnerungstechnisch gar nicht stattgefunden und mein Kopf fühlt sich entsprechend an. Ich strecke meinen Daumen aus und muss nicht lange warten.

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Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, weshalb ich diese Geschichte beichte: Zunächst einmal – für die Klugscheißer – ist der Mercedesstern das meistbestellte Ersatzteil der Welt. Zum einen könnte man jetzt sagen, dass dann einziger gar nicht weh tut. Ich für meinen Teil fühle mich schuldig, zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben!

Der zweite Grund ist der schlimmere und auch der Grund für das frühe Ende der Geschichte: Der Wagen, der mich am nächsten Tag mitgenommen hat, war besagter Mercedes! Kein Scheiß! Die ganze Heimfahrt zu schildern, könnte eine weitere Kurzgeschichte füllen, daher mache ich es kurz:

Beim Einsteigen fühlte ich einen kleinen, metallischen Gegenstand in meiner Gesäßtasche. In diesem Moment fiel mir der gesamte vorige Abend wieder ein. Jeder einzelne Moment. Und mit welchem Genuss ich diesem Wagen seinen Anmut stahl.

Weiterhin möchte ich beichten, dass es mir Leid tut, den Fahrer auch noch auf den Verlust angesprochen zu haben, á la „Oh, ihr Stern fehlt ja.“, woraufhin er sich lauthals bei mir über diese „verdammten Drecks-Bauernkinder“ beschwert hat. Er hat mir erzählt, dass er erst vor kurzem hier hin gezogen ist, aus irgendeiner Großstadt. Dort hatte er nie Probleme mit dem Wagen, keine Stadtpunks, keine besoffenen Prolls, die seinem Wagen auch nur ein Haar krümmen wollten.

Lieber Mercedesfahrer: Es tut mir leid!

Sonntag, 31. Januar 2010

A Hard Day's Night



Als ich in die Lichtstraße einbiege bin ich bereits hundemüde. Dabei ist es gerade mal halb 10. Vor den Türen der Live Music Hall stehen bereits ein paar kleine, schwarz-gekleidete Metal-Gören und glühen vor. Mit dem bunten Löwen auf meinem Kapuzen-Pulli komm ich mir hier samstags immer ein wenig vor wie ein Tourist. Der fröhliche kleine Ben in der düsteren Welt des Metal und Hardcore. Ab 10 gehts rund. Und dann gleich zwei Stunden Freibier.

Als ich rein komme erfahre ich, dass ich heute Abend an Theke eins bin und stelle zu meiner Freude fest, dass ich mit dort mit Dan zusammen arbeite. Der ist schon da, hat bereits alles aufgebaut und begrüßt mich - gewohnt überschwänglich - mit einem „Na Alter, setzt dich gemütlich ins gemachte Nest oder wie?“

Danach kommt der für Dan und mich übliche Smalltalk:

„Wie läufts mit den Paper Queens?“

Ich erzähle ihm, dass es gut läuft, so langsam echt gute Auftritte rein kommen und dass ich mich in keiner anderen Band wohler fühlen würde:

„Und wie läufts mit Strahlemann?“

Er erzählt mir, dass es scheiße läuft, obwohl gute Auftritte rein kommen und dass er sich in jeder anderen Band wohler fühlen würde. Dann schiebt er hinterher:

„Am liebsten würde ich ja auch so Indie-Kram machen, das wär genau mein Ding.“

Später am Abend stellt er mir die Bandkollegen seiner neuen Band vor, bei der er seit kurzem Sänger ist. Sie spielen eine Mischung aus Alternative-Rock und Metal; aber er sagt, dass er sich wohl fühlt und das gönne ich ihm.

Als um 10 Uhr die Türen aufgehen, trudeln so langsam die ersten Gäste herein. Die zwei Freibier-Stunden sehen eigentlich an jedem Wochenende gleich aus: Einer zapft das Kölsch, der andere verteilt es. Um 11 kommt Lisa als Unterstützung dazu. Zwischendurch beschwert sich ein Gast, weil er ja angeblich schon seit unglaublich langen 10 Minuten auf sein Bier warten würde. Weil es uns heute Abend so gut geht, kann das unserer Laune nichts anhaben. Als er sich umdreht, zeigen wir ihm eine lange Nase, womit wir bei den übrigen Gästen anscheinend echt gut ankommen.

Um kurz nach 12 wird dann hinter der Theke immer kurz gejubelt, weil das Freibier und damit die letzte halbe Stunde Stress endlich vorbei ist. Ein paar Minuten später kommt ein junges Mädel zu mir und möchte noch ein Kölsch. Aber für umsonst natürlich. Als ich ihr sage, dass ich das nicht machen kann, weil dann ja jeder noch Freibier will - ist das jetzt erwachsen oder eher spießig? - durchläuft sie innerhalb einer Minute alle Methoden der weiblichen Bestechungsform: Erst „bitte, bitte, bitte“, dann aufreizendes Augenzwinkern und schließlich die Königsdisziplin „Betonung der Brüste durch seitlichen Druck der Oberarme“. Als ich ihr auch daraufhin eine Freibier-Abfuhr geben muss, nimmt sie ihr leeres Glas und schmettert es mir auf die Theke, bevor sie sich umdreht und im Gedränge verschwindet.

Ich schaue ihr entgeistert hinterher und fange lauthals an zu lachen. Bei hunderten von Kölschgläsern, die hier an einem einzigen Abend zu Bruch gehen - da glaubt sie doch nicht wirklich, dass mir das eine etwas aufmachen würde.

Um zwei Uhr hat Dan Feierabend und sagt, dass er jetzt aber schnell nach Hause müsse, da er ja morgen früh raus muss - zwei Stunden später steht er mit einer zierlichen Brünette an meiner Theke und bestellt mit den restlichen Worten, die er zu sprechen noch fähig ist zwei Flaschen Becks Green Lemon. Eine weitere halbe Stunde später holt er seine Jacke und verschwindet mit ihr.

Um fünf Uhr torkeln dann die letzten Gestalten über die Tanzfläche und wir spielen das berühmte Spiel „Wer ist der beste Tänzer“, was im wesentlichen daraus besteht, die Gäste auf der Tanzfläche zu beobachten und den besten (=lächerlichsten) Tänzer zu nominieren.

Um halb sechs dann Feierabend. Weil ich die Bahn gerade verpasst habe, nehme ich mir ein Taxi nach Hause und hab damit einen guten Teil meines Lohns schon wieder ausgegeben.

Ich kann ja soo gut mit Geld umgehen.