Sonntag, 17. Oktober 2010

Moving into Places


Seitdem ich in Opladen wohne wird der Bahnhof erneuert. Das hat zur Folge, dass alle 30 Minuten ein grelles Signalhorn ertönt, das die Bauarbeiter vor dem einlaufenden Zug warnt. Das Signalhorn ist sehr, sehr laut. Unsere Wohnung ist nicht weit vom Bahnhof entfernt. In der ersten Woche hier hab ich gar nicht gut geschlafen, inzwischen hab ich mich dran gewöhnt. Ich bin gespannt, ob ich‘s vermissen werde, wenn die Bauarbeiten einmal abgeschlossen sind. Liesa hat erzählt, dass die Bahn den Anwohnern ein Hotelzimmer bezahlt, wenn sie sich durch den Lärm zu stark beeinträchtigt fühlen. Vielleicht geben sie mir ja auch ein Zimmer, wenn ich nach Fertigstellung des Bahnhofs nicht mehr schlafen kann, weil ich das Signalhorn einfach zu sehr vermisse...

Ich sitze seit langem wieder in der Bahn. Eine Sache, die nach meinem Umzug leider zur Seltenheit geworden ist. Wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass ich lange nichts mehr zu Papier gebracht hab. Wenn ich statt einer Stunde Bahnfahrt nur noch zwei Minuten Fußweg zur Arbeit habe, dann fehlt zum Schreiben einfach die Zeit. Dabei sollte der Umzug doch eigentlich Zeitersparnis bringen?!

Der Zug fährt am Kölner HBF ein - beinahe zeitgleich mit dem RE9. Das gehört zu meinen Lieblingsmomenten beim Bahnfahren: Nebeneinander fahrende und immer langsamer werdende Züge. Als hätte man eine Fernbedienung, mit der man sein Leben kurz in Zeitlupe abspielen lassen kann.

Als ich ausstiege fällt mir wieder auf, wie schweinekalt es in den letzten Tagen geworden ist. Heute morgen bin ich aufgewacht und die Heizung war aus. Liesa ist im Urlaub. Es war so kalt, dass ich meinen Atem sehen konnte. Draußen auf der Straße ist das vielleicht okay, aber in meinem Schlafzimmer hat das nichts zu suchen.

Auf dem Weg vom HBF zum neuen Proberaum hat man das Gefühl, an allen sozialen Schichten der Stadt vorbeizukommen. Das ist umso interessanter, wenn man bedenkt, dass der neue Proberaum am Bogen 2 unter der Hohenzollernbrücke und damit nur knappe 200 Meter vom HBF entfernt ist.

Zuerst kommen die schnöseligen Anzugträger, die mit mir den Bahnhof auf der Rückseite verlassen. Die werden dann meist abgeholt von weniger schnöseligen Anzugträgern, auf deren DIN A4 Zetteln in großen Buchstaben Namen wie Müller oder Meier-Rosendhal stehen. Meier-Rosendhal ist natürlich die weibliche Variante , denn eine emanzipierte Geschäftsfrau gibt natürlich auf keinen Fall ihren Mädchennamen auf, wenn sie geheiratet hat. Selbst dann nicht, wenn daraus so ein beknackter Doppelname wie Kaufmann-Berghahn oder Müller-Rosendhal entsteht. Und was passiert eigentlich wenn zwei Menschen mit Doppelnamen heiraten? Wird das nicht viel zu kompliziert irgendwann? Wenn die ihren Kindern dann auch noch schnöselig viele Vornamen geben, blickt doch keiner mehr durch...

Am Busbahnhof tummeln sich die, die sich keinen Chauffeur leisten können. Ein paar Meter weiter haben zwei ehemalige Hartz IV-Empfänger eine Fahrradwerkstatt aufgemacht. Je weiter man sich vom HBF entfernt, desto beißender wird der Gestank nach Pisse und Bier.

Neben unserem Proberaum befindet sich das Gulliver, ein Obdachlosencafé. Auf den letzten Metern davor liegen grundsätzlich immer ein bis zwei tote Tauben, ich weiß zwar nicht woher die kommen, aber inzwischen hab ich mich auch daran so sehr gewöhnt, dass ich sie vielleicht vermissen würde, wenn sie mal nicht dort lägen.

Nach und nach trudeln auch die anderen drei am Proberaum ein. Wir gehen rein, schließen die Instrumente an und versuchen den neuen Song von der letzten Probe wieder auf die Reihe zu kriegen. Er handelt vom kurzen Leben eines Heliumluftballons...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen