

Nach der letzten Bandprobe bevor es wieder ins Studio geht, stehe ich am Hans-Böckler-Platz und warte auf die Linie 3. Normalerweise reicht die 4 ja, um bis zur Wolffsohnstraße und so zu mir nach Hause zu kommen. Aber nach 20 Uhr – so denkt sich die Stadt Köln – braucht ja niemand mehr mit der 4 bis zur Wolffsohnstraße zu fahren. Danke Stadt Köln.
Und wie es dann eigentlich immer so ist, komme ich am Hans-Böckler-Platz an und es kommt zuerst die 4. Die böse 4 nach 20 Uhr. Nach einer knappen Viertel Stunde kommt dann die 3 – die gute 3, die mich bis vor die Haustür bringt – und ich steige ein.
Die Bahn ist leer, bis auf ein knutschendes Pärchen und einen schlafenden jungen Türken. Ich setze mich, stell meine Gitarre und meine Tasche vor mir ab, krame meinen Kopfhörer raus und lausche den Decemberists auf Hazards of Love, während ich aus dem Fenster in die Dunkelheit schaue.
Nach einer Weile lasse ich meinen Blick durch die Bahn schweifen. Das Pärchen ist inzwischen ausgestiegen, was mir die restliche Bahnfahrt definitiv verschönert. Stattdessen steht jetzt eine alte Frau vor mir, die – oh, sie redet mit mir. Kopfhörer runter.
„Wie bitte?“
„Sie wissen, dass das hier ein Behindertenplatz ist, oder?“
Na wenn mir so eine heute mal nicht noch gefehlt hat.
„Oh, ja ich sitze hier nur wegen den vielen Taschen und… aber kein Problem, Sie können gerne hier sitzen.“
„Ja bitte, ich kann Ihnen auch gerne meinen Behindertenausweis zeigen.“
„Äh nein, nicht nötig. Ich glaub Ihnen das wohl.“ Dass sie behindert sind.
Ich bin gerade dabei aufzustehen – denn ich bin ja ein herzensguter Mensch – da höre ich sie ein dezentes „die Jugend von heute…“ vor sich her nuscheln. Weil ich zu müde bin, um mich jetzt noch mit einer Oma anzulegen, tue ich so, als hätte ich sie nicht verstanden, nehme ich meine Gitarre und die Tasche und stelle mich an den Fahrradplatz. Es sind ja schließlich nur noch zwei Stationen.
Ich habe den Vorfall schon fast vergessen und will mich wieder den Decemberists widmen, als ich sehe, dass sie in ihrer Handtasche kramt, um mir anschließend ihren Behindertenausweis vor die Nase zu halten.
Ich bin ja ein herzensguter Mensch. Wie gesagt. Aber jetzt ist mir irgendwie nicht mehr danach, freundlich zu sein.
„Das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder? Sie sind doch nicht sprachbehindert, oder? Wenn Sie auf dem Platz sitzen wollen – obwohl ja die ganze Bahn frei ist und sie, so wie ich das sehe, keine Rollstuhlfahrerin sind und nicht auf Krücken angewiesen sind – dann sagen Sie das doch einfach.“
Jetzt sagt sie nichts mehr. Als ich aussteige hört sie mich noch ein dezentes „Alte Schachtel“ vor mich hernuscheln. Sie tut so, als hätte sie mich nicht verstanden.
Auf dem Heimweg geht der junge Türke aus der Bahn neben mir.
„Ey, was hatte die denn für ein Problem?!“
Ich erklärs ihm.
„Ach mach dir nichts draus. Ich kenn die. Die ist immer so behindert.“