

Als wir das Mehrfamilienhaus an der Aachener Straße durch die große Holztür verlassen, ist es draußen bereits dunkel geworden. Wenn man um drei Uhr nachmittags mit der Probe beginnt und sich der Proberaum gefühlte 100 m unter der Erde befindet, dann bekommt man absolut gar nichts von der Außenwelt mit. Es sei denn Frau Bräuer, die achtzigjährige Hausmeisterin des Hauses, stattet uns einen Besuch ab und beschwert sich entweder über uns („Von da oben hört sich das an, als seien hier 1000 Russen im Keller“) oder über ihr Leben („Seit 50 Jahren kümmer ich mich jetzt um dieses Haus, und jetzt will die Stadt uns hier raus…“).
Inzwischen ist es halb 8 und wir stehen zwischen den zwei Matratzenläden und planen die nächste Probe, als wir plötzlich durch ein lautes Scheppern aus unserer Unterhaltung gerissen werden. Ein paar Meter weiter ist ein Fahrrad umgefallen. Als wir sehen, dass daneben ein alter, grauhaariger Typ sitzt und die rote Suppe auf den Asphalt tropft, laufen wir zum Ort des Geschehens, um ihm wieder aufzuhelfen.
„Herrgott Vater im Himmel, so eine Scheiße“, murmelt er, als wir ihn fragen, ob er verletzt ist.
Als er wieder auf eigenen Beinen steht, schaut er uns eine Weile an, bis er auf sein Fahrrad zuschwankt und beim Versuch, es wieder aufzustellen, beinahe wieder hinfällt.
„Na herrlich, der hat ordentlich einen im Tee…“
Ich frage ihn erneut ob er verletzt ist und weise ihn auf die rote Lache am Boden hin. Er schaut zu Boden, dann zu mir, dann wieder zum Boden, schließlich wieder zu mir und sagt:
„Na toll, jetzt ist auch noch mein Mineralwasser kaputt gegangen.“
Er zeigt auf den Stumpf einer Rotweinflasche, der noch immer in seinem Fahrradkorb steht. Ein wenig Wein tropft noch immer auf den Boden. Er spricht so leise als würde er Selbstgespräche führen: „Das ist mein Vater schuld. Der will doch nur nicht, dass ich mich hier auf der Straße rumtreibe, der alte Sack.“
Als wir ihn alle recht zeitgleich darauf hinweisen, dass das was da aus seinem Fahrradkorb tropft, eher nach einer guten Flasche Primitivo als nach Evian aussieht, schaut er uns erneut für eine kurze Weile schweigend an, bis er schließlich lauthals zu lachen beginnt.
„Ihr Menschen seid echt mies. Da stirbt man für euch am Kreuz, heilt eure scheiß Wunden, verwandelt euer Wasser in Wein und ist damit der Held eurer WG-Parties und zum Dank erkennt ihr einen nicht mal, wenn man euch auf Straße begegnet.“
„Soso, sind Sie jetzt der Sohn Gottes oder was?“
Meine Frage ermutigt den bärtigen Typen zu umso lauterem Gelächter.
„Macht es gut The Paper Queens. Viel Erfolg mit eurer neuen CD. One Great City ist echt n cooler Song. Ich mag Köln, wisst ihr? Mein Vater regt sich ja immer über die ganzen Schwulen und Lesben hier auf, aber ich finds herrlich!“
Wir bleiben mit offenen Mündern stehen, als Jesus sein Fahrrad nimmt und die Aachener Straße weiter runter fährt. Erst als er aus unserem Sichtfeld verschwunden ist, fällt mir ein, dass ich ihn gerne gefragt hätte, wie dieser Wasser-zu-Wein-Trick funktioniert…